Gebietseigenes Pflanzgut – von Berg-Ahorn bis Zitter-Pappel

28.05.2021 Christiane Boll

Kategorie: Naturraum

Schlagworte: Westfalen · Vegetation · Naturschutz · Wald · Obst · Forstwirtschaft

Inhalt

Eiche, Buche, Weide… Das sind doch Allerweltsgehölze! Die meisten der in Westfalen heimischen Strauch- und Baumarten sind als Arten in ihrem Bestand keineswegs bedroht. Dennoch droht die innerartliche genetische Vielfalt immer weiter abzunehmen. Diese Vielfalt ist jedoch von großer Bedeutung für die Stabilität von Ökosystemen. Deshalb dürfen in der freien Landschaft, beispielsweise bei Renaturierungen oder der Randbepflanzung von Straßen, nur Pflanzen verwendet werden, die aus Saatgut hervorgegangen sind, das in einem entsprechenden Vorkommensgebiet gewonnen wurde.

Was sind gebietseigene Gehölze?

Eine Pflanze wird dann als gebietseigen bezeichnet, wenn sie aus einer einheimischen Population stammt, die sich in einem bestimmten Naturraum über einen langen Zeitraum hinweg über mehrere Generationen vermehrt hat und die gegenüber einer Population der gleichen Art in einem anderen Naturraum genetische Unterschiede aufweist. Somit sind die Kriterien Raum, Zeit und Population entscheidend für die Definition einer gebietseigenen Pflanze. Die Begriffe gebietseigen/gebietsheimisch werden in der Praxis synonym verwendet.

Tab. 1: Liste natürlich vorkommender Gehölzsippen für Pflanzungen in der freien Landschaft in Westfalen (Quelle: BMU 2012)

Vorteile in der Verwendung

Aus ökologischer und auch ökonomischer Sicht sprechen zahlreiche Argumente für die Verwendung gebietseigenen Pflanzguts: Gebietseigene Gehölze sind am besten an die jeweiligen Standortbedingungen angepasst und sind dort konkurrenz- und widerstandsfähiger. Eine hohe innerartliche Vielfalt führt dazu, dass sich die Arten bei veränderten Standortbedingungen, beispielsweise bedingt durch den Klimawandel, vorteilhaft anpassen können. Gebietsfremdes Pflanzgut kann hingegen zu Florenverfälschung, Beeinflussung des Genpools heimischer Populationen durch Hybridisierung und der Verbreitung von Neophyten führen. Der Anwuchserfolg gebietseigener Gehölze ist in der Regel hoch und eine aufwändige Pflege oftmals nicht notwendig. Die Verwendung gebietseigenen Pflanzguts ist in der freien Landschaft seit März 2020 deutschlandweit verpflichtend (§ 40 Bundesnaturschutzgesetz).

Abb. 1: Pfaffenhütchen (Euonymus europaea) (Foto: Wikimedia Commons, Wilhelm Zimmerling)

Vorkommensgebiete für gebietseigenes Pflanzgut in Westfalen

Um die Vorgaben des Bundesnaturschutzgesetzes kontrollieren zu können, mussten bundeseinheitliche Grundlagen für die Produktion und den Einsatz von gebietsheimischem Pflanzgut in der freien Landschaft geschaffen werden. Die "Arbeitsgruppe gebietseigene Gehölze" (bestehend aus Interessensvertretungen von Naturschutz, Forst, Gartenbau, Verkehr, Baumschulen und Forschung) grenzte sechs Vorkommensgebiete auf Grundlage bestehender naturräumlicher Gliederungen in Deutschland ab  (Abb. 2). "In diesen Vorkommensgebieten gelten Gehölze als gebietseigen, wenn ihr genetischer Ursprung in Vorkommen liegt, die mit hoher Wahrscheinlichkeit natürlich entstanden sind" (BMU 2012).

Für Westfalen sind die Vorkommensgebiete 1 (Norddeutsches Tiefland) und 4 (Westdeutsches Bergland und Oberrheingraben) von Bedeutung (Abb. 2). In Tabelle 1 sind die dort am häufigsten für Pflanzungen in der freien Landschaft genutzten gebietseigenen Gehölze aufgelistet. Zudem sind Angaben zur Eignung im jeweiligen Vorkommensgebiet enthalten. Die Artenliste stellt eine Auswahl der regelmäßig verwendeten Gehölze dar.

Abb. 2: Die sechs Vorkommensgebiete in Deutschland für gebietseigene Gehölze (Quelle: Eigene Darstellung nach BMU 2012)

Besonderheit: Forstbaumarten

Die beschriebenen Vorkommensgebiete beziehen sich ausdrücklich lediglich auf die in Tabelle 1 gelisteten Gehölze für Pflanzungen in der freien Landschaft.

Für Pflanzen, die für forstliche Zwecke verwendet werden (s. Anlage des Forstvermehrungsgutgesetzes (FoVG), z.B. Fichte, Douglasie und Stieleiche), werden laut Forstvermehrungsgut-Herkunftsgebietsverordnung (FoVHgV) eigene verbindliche Herkunftsgebiete zur Sicherung der genetischen Vielfalt festgelegt. Sollen also Gehölze zu forstlichen Zwecken angepflanzt werden, so sind nicht die beschriebenen Vorkommensgebiete, sondern die Herkunftsgebiete des Forstbereichs anzuwenden. Diese Herkunftsgebiete gelten für Forstbäume auch dann bei Pflanzungen außerhalb von Wäldern, wenn für die bestimmte Baumart deutschlandweit sechs oder weniger Herkunftsgebiete definiert sind.

Besonderheit: Obstgehölze

Neu zu pflanzende Obstbäume in der freien Landschaft, die der Erhaltung alter Sorten dienen, stellen in Hinblick auf die Verwendung gebietseigener Gehölze einen Sonderfall dar. Kultur­obstbäume werden seit Jahrhunderten von Gemeinden, Vereinen oder Privatpersonen als Allee, Einzelbaum oder Streuobstwiese angepflanzt und sind Bestandteil der traditionellen westfälischen Kulturlandschaft. Eine Gefährdung von Ökosystemen und Arten durch Apfel, Birne, Pflaume und Co. kann weitgehend ausgeschlossen werden. Im Gegenteil: Häufig sind diese Strukturen wertvolle Biotope und außerordentlich wichtig für den Erhalt der genetischen Vielfalt (s. Beitrag Boll). Der Genehmigungsvorbehalt des Bundesnaturschutzgesetzes (§ 40 (1)), der sich auf das Ausbringen gebietsfremder Arten bezieht, besteht für Kulturobstgehölze nicht.

Für die Verwendung gebietseigenen Saatguts, z.B. zur Anlage einer Wildblumenwiese unter den Obstbäumen, existieren 22 abgegrenzte Herkunftsregionen in Deutschland (s. Beitrag Boll).

Es bleibt zu hoffen, dass die Vielfalt an bürokratischen Regularien für Saat- und Pflanzgut die genetische Vielfalt nicht übersteigt.

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2021