Schmallenberger Sauerland – erste allergikerfreundliche Region in Westfalen

27.04.2015 Meinolf Rohleder

Inhalt

Volkskrankheit: Allergien

Allergie ist eine Volkskrankheit. Tourismusregionen sind somit vor die Frage gestellt, wie sie diesem wesentlichen Fakt zukünftig adäquat begegnen können. Immerhin gaben 58% der Allergiker und ihrer Angehörigen in einer Umfrage an, sich durch ihre Allergie auch im Urlaub eingeschränkt zu fühlen (www.ecarf.org).

Allergische Erkrankungen haben in den letzten Jahrzehnten in vielen Regionen der Welt, auch in Deutschland, dramatisch zugenommen – so lautet der Befund der Studie zur "Gesundheit Erwachsener in Deutschland" aus dem Jahr 2013 (Langen et al. 2013). Insgesamt ist etwa bei einem Drittel der Erwachsenen mindestens eine der am meisten verbreiteten Allergien in Deutschland ärztlich diagnostiziert worden. Dabei liegt die sog. Lebenszeitprävalenz (also die Krankheitshäufigkeit) für Asthma Bronchiale bei 8,6%, Heuschnupfen bei 14,8%, Neurodermitis und Urtikaria jeweils bei 3,5%, Kontaktekzeme bei 8,7%, Lebensmittelallergien 4,7% und Insektengiftallergien 2,8%. Aktuell, so die Zusammenfassung der Studie, leiden fast 20% der erwachsenen Deutschen an mindestens einer Allergie. Frauen sind allgemein häufiger betroffen als Männer, Jüngere häufiger als Ältere. Trotz dieser Ausgangslage sind laut Aussage der Deutschen Gesellschaft für Allergologie die Allergiker medizinisch "unterversorgt" (WN, 04.09.2013, 10.09.2013). Sie müssen alltäglich bereits im heimischen Umfeld beträchtliche Einschränkungen ihrer Lebensqualität hinnehmen. Dies gilt noch mehr für Urlaubszeiten, in denen der gewohnte Lebensbereich verlassen wird.

Abb. 1: Übernachtungen in 2013 (Quelle: IT.NRW 2014)

Ein LEADER-Projekt aus gesundheitlicher Perspektive

Auf Basis dieser Erkenntnisse erschien es für die beiden Kommunen Schmallenberg und Eslohe nur konsequent, sich als bekannte Urlaubsregion dem Problem "Allergiebelastete Menschen im Urlaub" zu stellen. Im Rahmen des LEADER-Förderprogramms wurde ein entsprechender Antrag für ein Projekt in der LEADER-Region "4 mitten im Sauerland" (s. Beitrag Rohleder) gestellt. Das Ziel war die Zertifizierung des Schmallenberger Sauerlands als "allergikerfreundliche Region".

Dabei besann man sich auf die bereits vorhandenen langjährigen Erfahrungen als Freizeit- und Erholungsregion – nunmehr unter besonderer Berücksichtigung der Touristen mit unterschiedlichen allergischen Erkrankungen.

Die Kommunen unterstützten daher einen entsprechenden Projektantrag der "Kur und Freizeit GmbH" in Schmallenberg auf Fördermittel aus dem LEADER-Programm für die Zertifizierung zu einer "allergikerfreundlichen Region". Der Antrag stellte somit ein Element des LEADER-Ziels "Diversifizierung der ländlichen Wirtschaft", hier des Tourismus, heraus. Erhofft wurde eine Imagestärkung im Tourismusbereich des Sauerlandes – gegen eine starke Konkurrenz aus Winterberg (Abb.1) –, die mittelfristig eine erhöhte Buchungsnachfrage nach sich ziehen könnte.

Die Kerngemeinde Eslohe ist bereits staatlich anerkannter Luftkurort und seine beiden Ortsteile Coppenrode und Wenholthausen anerkannte Erholungsorte. Gemeinsam bilden sie das Grundgerüst für die "Ferienregion Eslohe" (Abb. 2). Die Stadt Schmallenberg weist mit dem Ortsteil Bad Fredeburg einen staatlich anerkannten Kneippkurort (einziges Kneippheilbad im Hochsauerlandkreis) auf (Abb. 3), der Ortsteil Grafschaft mit dem Fachkrankenhaus Kloster Grafschaft (Schwerpunkte: Pneumologie und Allergologie) ist heilklimatischer Kurort. Die Kernstadt Schmallenberg und der Ortsteil Nordenau sind außerdem anerkannte Luftkurorte. Bad Fredeburg und Nordenau sind darüber hinaus durch ihren Heilstollenkurbetrieb bekannt (Abb. 4) (s. Beitrag Wittkampf). Gemeinsam sind diese vier Kommunen die prominentesten Urlaubsstationen im "Schmallenberger Sauerland".

Abb. 2: Gemeinde Eslohe (Quelle: Gästeinformation "Schmallen-berger Sauerland", Foto: Klaus-Peter Kappest)

ECARF-Zertifizierung: allergikerfreundliche Kommune

Die Europäische Stiftung für Allergieforschung, kurz ECARF (engl.: European Centre for Allergy Research Foundation), wurde im Jahr 2003 in Berlin gegründet und hat ihren Sitz an der dortigen Charité. Der bestimmende Leitsatz der Stiftung lautet: "Lebensqualität trotz Allergie". Die Stiftung setzt sich gegen die Bagatellisierung von Allergien ein. Sie entwickelte "Leitideen und Grundsätze für die Zertifizierung von allergikerfreundlichen Kommunen" (bzw. Regionen) und vergibt als einzige international ausgerichtete Stiftung für Allergieforschung ein europaweit gültiges Qualitätssiegel für allergiefreundliche Produkte und Dienstleistungen – auch im Tourismusbereich. Dafür schult sie Mitarbeiter/innen der entsprechenden Kommunen, der dort angesiedelten Gastbetriebe und des Einzelhandels.

Das ECARF-Qualitätssiegel kennzeichnet einen "medizinisch gesicherten Standard, den die Siegelnehmer einer als allergikerfreundlich ausgezeichneten Kommune einhalten" (www.ecarf.org). Für die relevanten Dienstleistungen und Betriebe sind entsprechend passende Kriterien entwickelt worden. Die Siegelnehmer verpflichten sich, diese Kriterien einzuhalten, um dadurch die Voraussetzungen für einen möglichst beschwerdefreien Aufenthalt am Wochenende oder in den Urlaubswochen zu schaffen.

Folgende Einrichtungen müssen die an sie gestellten Anforderungen erfüllen:

  • Hotels und Restaurants,
  • Ferienhäuser,
  • Imbisse, Schnellrestaurants, Cafés
  • Bäckereien,
  • Supermärkte,
  • Metzgereien,
  • ggf. weitere Betriebe, wie etwa Schmuckgeschäfte.
Abb. 3: Bad Fredeburg im Winter (Quelle: Gästeinformation "Schmallenberger Sauerland", Foto: Manfred Landsknecht)

Beispielhaft für die teilnehmenden Hotels bedeutet dies u.a.:

  • Nichtraucher-/haustierfreie Zimmer bereitstellen,
  • keine allergenen Grünpflanzen in den allergikergeeigneten Zimmern,
  • Zimmer für Milbenallergiker,
  • generell Fensterlüftung oder qualitätskontrollierte Air Condition in den Zimmern,
  • Versorgung der Gäste mit allergologisch/dermatologisch unbedenklichen Körperpflegeprodukten.


Analog dazu heißt das für die Restauration u.a.:

  • beim Frühstücksbuffet nuss- und mandelfreies Müsli und Brot bereitstellen,
  • Inhaltsstoffangaben der verwendeten Nahrungsmittel/Mahlzeiten auf Nachfrage,
  • jährliche Information des Küchenpersonals zur Allergenmeidung durch eine allergologisch ausgewiesene Ernährungsfachkraft.

Auch die Antrag stellenden Kommunen haben entsprechende Leistungen zu erbringen, z.B. die Bereitstellung von relevanten Informationen im Internet bzw. durch Info-Tafeln vor Ort. Ferner müssen ECARF-Qualitätssiegel im Ort und auf der Homepage sichtbar sein. Darüber hinaus sollen bei Neuanpflanzungen im öffentlichen Raum pollenarme Pflanzen bevorzugt und regelmäßige Pollenzählungen durchgeführt werden. Im Gegenzug werden die Siegelnehmer im Rahmen der Zertifizierung geschult. Zur Verlängerung der Siegelgültigkeit erfolgt nach zwei Jahren erneut eine Schulung durch ECARF.

Abb. 4: Heilstollen in Nordenau (Quelle: Gästeinformation "Schmallenberger Sauerland")

Zertifizierungsprozess erfolgreich

Ein Jahr nach Antragstellung als Projekt im LEADER-Programm wurden im April 2013 Schmallenberg und Eslohe aus der LEADER-Region "4 mitten im Sauerland" für ihre Allergikerfreundlichkeit ausgezeichnet. Damit sind das Feriengebiet Eslohe und das Schmallenberger Sauerland gemeinsam die erste allergikerfreundliche Region in Nordrhein-Westfalen.

Neben den Orten Baabe (auf Rügen) und Bad Hindelang (im Allgäu) sowie der Nordseeinsel Borkum und dem Verbund Ferienland Schwarzwald ist Schmallenberg-Eslohe die fünfte Urlaubsregion in Deutschland, der diese Auszeichnung verliehen wurde. Reisende erkennen die allergikerfreundlichen Betriebe am gut sichtbar an der Hauswand angebrachten ECARF-Qualitätssiegel. Im Frühjahr 2014 trugen dieses Siegel insgesamt 34 Übernachtungsbetriebe in der Region. Darüber hinaus wurden drei Supermärkte, vier Bäckereien, drei Metzger, zwei Cafés und ein Juwelier zertifiziert.

Im April 2015 fand die erfolgreiche Nachzertifizierung der Region statt.

In ein paar Jahren wird bilanziert werden können, inwieweit sich die Anstrengungen aller Beteiligten bei der Umsetzung der Projektidee gelohnt haben. Gewinner sind aber ohne Zweifel schon heute die durch allergische Erkrankungen belasteten Menschen.

Beitrag als PDF-Datei ansehen/speichern (Größe: < 1 MB)

↑ Zum Seitenanfang


Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2015