Kirmesveranstaltungen in Westfalen

05.09.2016 Peter Wittkampf

Inhalt

Westfalen-Lippe stellt innerhalb Deutschlands eindeutig eine Kirmes-Hochburg dar. Die Angaben der Internetplattformen, auf denen die insgesamt ca. 350 deutschen Kirmesveranstaltungen aufgelistet werden, unterscheiden sich zwar etwas in Bezug auf die genauen Zahlen, aber überall wird die besondere Bedeutung Westfalens in dieser Hinsicht offenkundig. Denn während auf Westfalen-Lippe nur etwa 6% der Fläche und 10% der Einwohner Deutschlands entfallen, liegt der Anteil an den Kirmessen bei ca. 27% (www.kirmes-in-deutschland.de) bzw. 23% (www.volksfestundkirmes.de).

Dass es schwierig ist, genaue Zahlen zu nennen, liegt u.a. daran, dass manche Kirmesveranstaltungen nicht speziell als solche erfasst werden, wenn sie z.B. "Anhängsel" anderer Veranstaltungen sind, etwa von Stadt-, Heimat- oder Schützenfesten. Außerdem wurden und werden in letzter Zeit manche kleinere Kirmessen aufgegeben.

Abb. 1: Herbstsend in Münster (Foto: P. Wittkampf 2015)

Geschichtliche Entwicklung

Die Bezeichnung "Kirmes" geht zurück auf "Kirchmesse", also die zur Einweihung der Kirche gefeierte Messe, und bezeichnete später die mit dem Kirchweihfest verbundene Volksbelustigung, also das Volksfest bzw. den Jahrmarkt. Das Kirchweihfest fand normalerweise am Namenstag des Pfarrpatrons bzw. der Pfarrpatronin statt. Etliche Kirmesveranstaltungen tragen bis heute den Namen des oder der jeweiligen Heiligen, dem oder der die (ursprüngliche) Pfarrkirche geweiht ist. Hierzu gehören beispielsweise die Viktorkirmes in Dülmen, die Martinikirmes in Nottuln, die Kilianskirmes in Iserlohn-Letmathe, die Gertrudiskirmes in Bochum-Wattenscheid, "Jans to Beilen" (St. Johannes) in Beelen usw.

Selbst wenn im Zuge der Reformation das örtliche Heiligenfest seine Bedeutung verlor oder sogar die Kirche umbenannt wurde, konnte teilweise die dortige Kirmes unter ihrem traditionellen Namen weiter existieren. Dies ist z.B. bei der Jakobuskirmes in Breckerfeld oder der Laurentiuskirmes in Höxter-Bruchhausen der Fall.

Wenn Kirmesveranstaltungen nicht in Verbindung mit dem Kirchweihfest standen, konnten sie dennoch in das Kirchenjahr eingebunden sein. So finden etwa zu Pfingsten in mehreren Städten Kirmesveranstaltungen statt, in Recklinghausen gibt es die Palmkirmes, in einigen Orten eine Himmelfahrtskirmes usw.

Die Jahrmärkte, die im ausgehenden Mittelalter oder in der frühen Neuzeit entstanden, gehen in der Regel auf die Erlaubnis oder sogar die Initiative des jeweiligen Landesherrn zurück. Es ging dabei nicht zuletzt auch um die wirtschaftliche Entwicklung der betreffenden Städte. Entsprechende Erlasse liegen für mehrere Städte vor, z.B. für Werne aus dem Jahr 1362, als Bischof Adolf von Münster der Stadt das Recht auf einen solchen Markt zum Fest "Simon und Juda" (28. Oktober) gewährte – daher der heutige Name "Sim-Jü" für die Kirmes, die jährlich Ende Oktober in Werne stattfindet.

Abb. 2: Stand mit Lebkuchenherzen auf dem Fettmarkt in Warendorf (Foto: P. Wittkampf 2015)

Den eigentlichen Kern dieser Jahrmärkte bildete in der Regel zunächst ein Vieh- und Krammarkt. Diese Tradition lebt heute nur noch in wenigen Fällen fort, am bekanntesten hierbei ist wohl der "Mariä-Geburts-Markt" in Telgte. Andernorts aber wurde der Viehmarkt aufgegeben, etwa beim Jahrmarkt "Sünne Peider" (Petri Stuhlfeier) in Versmold im Jahr 1971.

Die in neuerer Zeit entstandenen Kirmesveranstaltungen wurden meist einfach entweder nach dem Ort oder nach der Jahreszeit benannt, an dem bzw. in der sie stattfinden. Besonders häufig anzutreffen ist dabei die "Herbstkirmes", wahrscheinlich weil diese Jahreszeit von den Wetterbedingungen und dem Jahresarbeits-zyklus her am besten geeignet zu sein schien. Ein Beispiel hierfür wäre etwa der – 1657 erstmals erwähnte und jährlich im Oktober stattfindende– "Fettmarkt" in Warendorf.

Größenordnungen

Mindestens zwei Kirmesveranstaltungen in Westfalen gehören zu den – vom Münchner Oktoberfest angeführten – "Top 10" in Deutschland: die Cranger Kirmes im Herner Stadtteil Crange und "Libori" Ende Juli in Paderborn.

Im "Ranking" der großen Kirmesveranstaltungen eine genaue Platzierung anzugeben, ist aufgrund der unterschiedlichen Vergleichskriterien schwierig, zu denen z.B. die Gesamtbesucherzahl, die Besucher pro Veranstaltungstag, die Festplatzgröße, die Anzahl der mobilen Geschäfte usw. zählen.

Abb. 3: Kirmesstandorte in Westfalen (Stand 10/2015) (Quellen: www.volksfestundkirmes.de, www.kirmes-in-deutschland.de)

Die Cranger Kirmes jedenfalls, die jährlich um den Namenstag des heiligen Laurentius (10. August) stattfindet, lockt jeweils über 4 Mio. Besucher an. Das Kirmesgelände ist 8,3 bzw. 11 ha groß, die Budenfront ca. 5 km lang. Ursprünglich war das Ereignis mit einem Pferdemarkt verbunden, der 1441 zum ersten Mal bezeugt ist und bei dem "Dickköppe", eine im Emscherbruch lebende Wildpferderasse, verkauft wurden.

"Libori" in Paderborn, ein auch kirchlich sehr wichtiges Ereignis, das auf die Überführung der Gebeine des hl. Liborius nach Paderborn im Jahr 836 zurückgeht und nach dem 23. Juli, dessen Namenstag, begangen wird, verbindet kirchliche Feierlichkeiten mit einer Kirmes, die zu den ältesten und größten in Deutschland gehört. Zu diesem Ereignis kommen jährlich etwa 1,5 Mio. Menschen. Die "Kirmesmeile" ist 1,6 km, die "Erlebnismeile" ca. 2 km lang.

Ebenfalls sehr bedeutend sind z.B. die Allerheiligenkirmes in Soest, der "Send" in Münster und die Palmkirmes in Recklinghausen.

Seit die alte Petrikirche in Soest an einem Allerheiligentag (1. November) geweiht wurde, feierte man dort seit etwa 1100 das entsprechende Kirchweihfest, das als Volksfest urkundlich im Jahr 1338 belegt ist. Heute lockt Anfang November die größte Altstadtkirmes Europas jährlich fast 1 Mio. Besucher in den Stadtkern von Soest.

Vergleichbare Besucherzahlen weist die Palmkirmes in Recklinghausen auf, die größte Frühjahrskirmes in Nordrhein-Westfalen, die jeweils in den Tagen vor Palmsonntag abgehalten wird.

Der "Send" in Münster findet dreimal pro Jahr statt, wobei der Sommersend zeitlich mit dem Patronatsfest des Paulusdomes (29. Juni) einhergeht. Das Wort "Send" ist abgeleitet von "Synode", zu der sich seit dem 9. Jh. wichtige Entscheidungsträger im Münster versammelten. Vermutlich schon seit dem 11.Jh. war dies mit einem besonderen Markt verbunden. Das heutige Send-Gelände auf dem Schlossplatz ist etwa 4 ha groß und bietet Platz für ca. 250 Schaustellerbetriebe. Diese werden jeweils aus ca. 1.800 Bewerbern ausgewählt.

In die Kategorie der Kirmesveranstaltungen mit ca. 300.000 bis 600.000 Besuchern gehören u.a. die Bocholter Kirmes, "Sim-Jü" in Werne, der Annentag in Brakel und die Hüstener Kirmes in Arnsberg-Hüsten.

Ausgaben, Einnahmen und Standortkonzentrationen

Wie viel Geld die Besucher im Durchschnitt auf einer Kirmes ausgeben, ist unterschiedlich. Umfragen bzw. Untersuchungen ergaben z.B. für den Herbstsend 2008 in Münster ca. 20 Euro, für die Cranger Kirmes 2012 ca. 45 Euro pro Person. In den Kirmesstädten profitieren außerdem Hotel- und Gaststättenbetriebe, Geschäfte, Bus- und Taxiunternehmen usw.

Auf der anderen Seite stehen Ausgaben, die die Kirmesstädte z.B. für Leitungen und Infrastruktur, Verkehrslenkung, Sicherheitsvorkehrungen und Stadtreinigung zusätzlich aufbringen müssen. Diese werden nicht immer durch die Standgebühren und Steuereinnahmen völlig gedeckt.

Neue Beobachtungen zeigen, dass es auch bei Kirmessen eine Tendenz zur Konzentration auf Großveranstaltungen gibt. Dass dadurch kleine Kirmessen eventuell auf der Strecke bleiben, ist zu vermuten. Genaue Zahlen zu dieser Entwicklung liegen allerdings für Westfalen nicht vor.

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2016