Neue Überlegungen zur Varusschlacht
von Wilm Brepohl und Klaus Temlitz
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für die 8,3 Millionen Menschen in der Region Westfalen-Lippe. Er betreibt 35 Förderschulen, 21 Krankenhäuser
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von Wilm Brepohl und Klaus Temlitz
Einige große Heiligtümer in Germanien, auf die der antike Autor Tacitus (um 100 n. Chr.) verweist, waren wohl jeweils einem sog. Mannus-Kultverband mehrerer Stämme zugeordnet, die sich zur gemeinsamen Verehrung des "Mannus" trafen, dem – so Tacitus – Stammvater aller Germanen. So wird auch der Mannus-Kultverband der im Rhein-Ems-Weser-Gebiet neben den Cheruskern wohnenden Stämme ein solches zentrales Heiligtum gehabt haben. An derartigen heiligen Stätten dürften die großen Kultfeste nur im Abstand von etlichen Jahren gefeiert worden sein. So fanden z. B. im vorchristlichen Schweden für sämtliche Volksstämme verbindlich alle neun Jahre in Uppsala große Opferfeste zu Ehren des Wodan/Odin statt, die neun Tage dauerten.
Unter der (durch antike Quellen nur mittelbar belegten) Voraussetzung, im Jahre 9 n. Chr. hätte ein großes Kultfest der Rhein-Ems-Weser-Germanen an ihrem zentralen Heiligtum bevorgestanden, so wäre solch ein nach längerer Zeit für die germanischen Stämme wiederkehrendes, sehr wichtiges Ereignis auch den Römern bekannt gewesen, da sie sich bereits über 20 Jahre im Gebiet dieser Kultgemeinschaft aufhielten. Da somit Varus und sein Generalstab wussten, dass tausende freier, mithin bewaffneter Germanen zum Kultfest kommen würden, bestand für sie aus diesem Grunde keine Befürchtung vor dieser Ansammlung so vieler Waffentragender an einem Ort. Im Gegenteil, dieses zentrale Treffen bot Varus die günstige Gelegenheit, mit den germanischen Stammeseliten einschließlich der Priesterschaft zusammenzutreffen. Dabei könnte er diesen die Notwendigkeit und seinen eisernen Willen, die neue Politik im Sinne Roms durchzusetzen, in einer direkten Ansprache und einer gleichzeitigen militärischen Machtdemonstration eindrücklich vermitteln. Arminius, von den Römern noch als "einer von uns" betrachtet, dürfte genau diese Überlegungen entscheidend mit beeinflusst haben.
Möglicherweise verweist darüber hinaus auch schon die Ortsbezeichnung des Schlachtfeldes unmittelbar auf ein Kultheiligtum (Tacitus, Annalen I, 60, 3): "Von dort führte man den Heereszug [des Germanicus] in die abgelegensten [Gebiete] der Brukterer und verwüstete möglichst [das Land] zwischen Ems und Lippe, nicht weit entfernt vom Teutoburger Wald ("saltus Teutoburgiensis"), wo die Überreste des Varus und der Legionen unbestattet liegen sollen." Tacitus benennt hier mit "Teutoburg" eine Örtlichkeit mit ihrem germanischen, lediglich latinisierten Namen, ohne ihn zu erläutern. Das germanische "burg" weist auf eine befestigte Höhe hin. "Teuto" entspricht dem germanischen "Theudo" und wird gewöhnlich mit "Volk" gleichgesetzt, so dass Teutoburg in der Regel als "Volksburg" gedeutet wird. Doch in "Theudo" ist auch als Denominativum (Ableitung vom Substantiv) das Verb "deuten" enthalten im Sinne von "vor dem versammelten Volk erklären, für das Volk verständlich machen" (Pfeifer 1999): Ein Hinweis wohl auf den Priester, der aus dem Opferbefund dem gläubigen Volk den Willen der Gottheit verdeutlicht. "Teutoburg" wäre also die befestigte Höhe, von der aus durch den Priester dem Volk Gottes Wille verständlich gemacht wird, und zugleich der germanische Eigenname für die zentrale Kultstätte, der auch den Römern noch bis in Tacitus' Zeiten vertraut war. Der "saltus Teutoburgiensis" ist mithin der (Opfer)wald der Teutoburg (so auch Kluge 1999), der sich – ähnlich wie in Uppsala und Leire (Schweden) – in der Nähe des zentralen Heiligtums befand – und dieses wiederum lag "haud procul" (nicht weit entfernt) von Ems und Lippe (vermutlich im Lipperland).
• | Brepohl, W. (2006): Neue Überlegungen zur Varusschlacht. Münster | |
• | Brepohl, W. (2008): Arminius gegen Germanicus. Münster | |
• | Kluge, F. (1999): Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Berlin | |
• | Pfeifer, W. (1999): Etymologisches Wörterbuch der Deutschen. München |
Erstveröffentlichung 2009