'Skulptur.Projekte Münster 07'' – mehr als ein kulturelles Großereignis

01.01.2010 Thomas Hauff

weitere Autoren: Christian Krajewski, Peter Neumann, Paul Reuber

Inhalt

Die im 10-Jahres-Rhythmus stattfindenden Kunstausstellungen "Skulptur Projekte Münster" haben sich zu einem kulturellen Großereignis mit überregionaler und sogar internationaler Strahlkraft entwickelt. Nach 1977, 1987 und 1997 wurde die Freiluftausstellung von Skulpturen der Gegenwartskunst im Jahr 2007 unter dem Titel "Skulptur.Projekte Münster 07" zum vierten Mal durchgeführt. Charakteristisch für die Skulptur Projekte ist, dass die eingeladenen Künstlerinnen und Künstler ihre Werke jeweils in der konkreten Auseinandersetzung mit der Stadt Münster schufen. Die künstlerischen "Eingriffe" in den städtischen Raum führten zunächst zu breiten Diskussionen in Münster über "Kunst im öffentlichen Raum", fanden aber auf nationaler und internationaler Ebene große Aufmerksamkeit.

Obwohl die Skulpturenausstellungen einen wichtigen Image- und Wirtschaftsfaktor für Münster darstellen, verstehen sie sich von ihrem originären Anspruch her als ein Langzeitversuch zu den Chancen und Möglichkeiten der "Kunst im öffentlichen Raum" (vgl. Bußmann et al. 1999). Daher haben die Kuratoren immer betont, dass sich die Skulptur Projekte vorwiegend an die Bürger Münsters richten. Gleichwohl waren die "Skulptur.Projekte Münster 07" das kulturelle Großereignis in Nordrhein-Westfalen und wurden international gemeinsam mit der "Documenta 12" in Kassel, der "Art 38" in Basel und der "Biennale" in Venedig als "Grand Tour" beworben (www.grandtour2007.com).

Abb. 1: Andreas Siekmann: Trickle Down. Der öffentliche Raum im Zeitalter der Privatisierung, Erbdrostenhof (Standort 2007) (Foto: Christian Krajewski 2007)

Die Skulptur Projekte 2007: ''Schau der Rekorde''

Für die "Skulptur.Projekte Münster 07", die als Gemeinschaftsprojekt des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL), der Stadt Münster und des Landes Nordrhein-Westfalen veranstaltet wurden, schufen 36 eingeladene Künstler 34 Projekte. Nach dem Erfolg 1997 waren die Erwartungen für 2007 sehr groß und gingen mitunter in Richtung eines Münsteraner "Sommermärchens". Gleichzeitig legten die Kuratoren der Ausstellung großen Wert darauf, sich nicht vom Marketing vereinnahmen zu lassen. "Die Skulptur Projekte sind gerade kein i-Tüpfelchen für Stadtmarketing oder Eventkultur, sondern die Ausstellung will aufklären" (Kurator Kasper König im TAGESSPIEGEL ONLINE vom 03.06.2007). Exemplarisch hierfür steht die neoliberalismuskritische Arbeit von Andreas Siekmann "Trickle down. Der öffentliche Raum im Zeitalter der Privatisierung" (Abb. 1).

Am Ende der Ausstellung zogen die Veranstalter eine positive Bilanz (vgl. im Folgenden Skulptur Projekte Münster 07). Zur Ausstellung kamen geschätzte 575.000 Besucherinnen und Besucher, was gegenüber 1997 einen Anstieg von 15% ausmacht. Die Übernachtungszahlen in den Hotels stiegen im Vergleich zum Vorjahr um 20% und der Anteil der ausländischen Ankünfte hat sich im Jahr der Ausstellung um 28% erhöht. Münster Marketing geht davon aus, dass die Besucherinnen und Besucher 34 Mio. € nach Münster gebracht haben. Dem steht ein Budget für die Ausstellung von 6,2 Mio. € gegenüber (vgl. Berg 2007). Auch aus publizistischer Sicht war die Ausstellung ein Erfolg. Journalisten aus 57 Ländern berichteten in Tages- und Fachpresse über die "Skulptur Projekte Münster 07". Allein in Deutschland erschienen 5.000 Artikel. Aus dem Ausland berichteten renommierte Magazine mit positivem Tenor.

Abb. 2: Skulptur Projekte Münster 2007 – Herkunft der Besucherinnen und Besucher (Quelle: Eigene Erhebungen/Institut für Geographie der WWU Münster)

Die Skulptur Projekte 2007 im Spiegel der Besucherbefragung

Begleitend zu den Skulptur Projekten 2007 wurde mit einem studentischen Projektseminar am Institut für Geographie der WWU Münster unter Leitung der Autoren u. a. eine Besucherbefragung mit über 1.100 Interviews an vier Standorten durchgeführt (vgl. im Folgenden Hauff et al. 2010, 2011). Die Besucherinnen und Besucher kamen zu 35% aus Münster, 25% stammten aus dem sonstigen Nordrhein-Westfalen, 17% kamen aus dem übrigen Deutschland und nahezu 23% aus dem Ausland (Abb. 2).

Interessante Aufschlüsse über die Besucherstrukturen liefert die Frage nach den Motiven des Besuchs. Eine Verdichtung der Mehrfachantworten zu fünf Motivgruppen zeigt die Dominanz des "allgemeinen und spezifischen Kunstinteresses" (88%), gefolgt von dem eher "erlebnisorientierten Kulturbesuch" (25%) und dem "fachlich-beruflichen Interesse" (20%). Ein "nicht vorrangiges kulturelles Besuchsmotiv" (Zufall, Kopplungsaktivitäten) wurde von 24% der Befragten genannt, 11% wiesen auf das "allgemeine Interesse aufgrund von Werbung" hin. Diese Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung der Skulptur Projekte für die Profilierung von Münster als kulturellem Zentrum mit internationaler Ausstrahlung.

Abb. 3: Skulptur Projekte Münster 2007 – Zufriedenheit der Besucherinnen und Besucher (Quelle: Eigene Erhebungen/Institut für Geographie der WWU Münster)

Aus Sicht des Stadtmarketings und des Tourismus ist von besonderem Interesse, dass viele Besucher aufgrund der Skulptur Projekte 2007 erstmals nach Münster kamen. Damit verbindet sich die Hoffnung, neue Besuchergruppen für Münster zu erschließen. Die Umfrageergebnisse zeigen, dass 29% der Besucherinnen und Besucher das erste Mal in Münster waren. Der Anteil der Erstbesucher lag bei den Gästen aus Deutschland bei 12% und bei denjenigen aus dem Ausland bei 60%. Die Skulptur Projekte 2007 haben somit ausländische Besucher motiviert, erstmals nach Münster zu kommen.

Die Ergebnisse zeigen, dass die Skulptur Projekte über ein "Stammpublikum" verfügen, das auch die Ausstellung 1997 besucht hat. Von den Münsteranern haben 54% eine der früheren Ausstellungen aufgesucht, bei den Besuchern aus dem übrigen Deutschland liegt dieser Anteil bei 40%, bei denjenigen aus dem Ausland bei 28%.

Die Besucher äußerten eine relativ hohe Zufriedenheit mit den Skulptur Projekten 2007 (Abb. 3). Demnach sind "Atmosphäre, Ambiente, Flair" der Ausstellung und auch der Stadt Münster ein sehr wesentlicher Faktor für die Zufriedenheit; aber auch die "Ausstellungsprojekte" selber sind bei den Besuchern auf positive Resonanz gestoßen. Eine abschließende zusammenfassende Bewertung macht den positiven Gesamteindruck deutlich: 63% der Befragten würden die Ausstellung "uneingeschränkt" und 24% "eher mit Einschränkungen" weiterempfehlen.

Abb. 4: Martha Rosler: Unsettling the Fragments, Ecke Rothenburg/ Königsstraße (Foto: Thomas Hauff 2007)

Skulptur Projekte Münster: Mehr als ein ''Kultur-Event''

Zweifelsohne zählen die Skulptur Projekte mittlerweile zu den imageträchtigsten Kulturevents in Münster. Angesichts der hohen Besucherzahlen, der positiven Ergebnisse der Besucherbefragung sowie der guten nationalen und internationalen Berichterstattung können die "Skulptur.Projekte Münster 07" aus Sicht von Stadtmarketing und Stadttourismus als Erfolg gewertet werden, der dazu beiträgt, das Bild einer lebens- und besuchenswerten Stadt zu festigen (vgl. Krajewski 2008). Auch die Bürgerinnen und Bürger Münsters messen den Skulptur Projekten mittlerweile große Bedeutung als Image- und als Wirtschaftsfaktor bei und empfinden die Skulpturen als Bereicherung für das Stadtbild (vgl. Hauff et al. 2011).

Allerdings wurde das positive Bild der Skulptur Projekte im Anschluss an die Ausstellung getrübt, als konservative Kulturpolitiker das Ankaufsvotum der Kunstkommission der Stadt Münster in Frage stellten. Es kam zum Streit über zwei Werke, die sich kritisch mit der Geschichte Münsters auseinandersetzten. Hierbei handelte es sich um einen Teil des Werks "Unsettling the Fragments" von Martha Rosler (Abb. 4) und das Projekt "Münsters Geschichte von unten" (Skulptur Paul Wulf) von Silke Wagner. Diese Kontroverse fand auch in den überregionalen Medien ihren Niederschlag. "Mit der Entscheidung, ob den Arbeiten von Silke Wagner und Martha Rosler Bleiberecht gewährt wird, könnte der Rat der Stadt zugleich die Frage beantworten, ob Münster nach einem weltoffenen Sommer in einen provinziellen und womöglich bis zu den nächsten 'Skulptur Projekten 2017' dauernden Winterschlaf verfällt" (Rossmann 2007).

Der "Skulpturen-Streit" mobilisierte die zivilgesellschaftlichen Kräfte, die sich für einen Verbleib der "kritischen" Skulpturen einsetzten und einen erheblichen Imageschaden für Münster befürchteten. Nachdem entsprechende Standorte für die beiden Skulpturen gesichert worden waren, kaufte der Freundeskreis des LWL-Landesmuseums für Kunst und Kulturgeschichte die Skulptur von Martha Rosler. Für das Objekt von Silke Wagner sammelte ein Freundeskreis private Spenden, die Finanzierung konnte 2010 endgültig durch einen einstimmigen Beschluss des Rates der Stadt Münster gesichert werden. Unter Rückgriff auf Klaus Bußmann (2000, S. 38) kann dieser Ausgang der Skulpturen-Kontroverse durchaus als Ergebnis eines mittlerweile dreißigjährigen Lernprozesses der Stadtgesellschaft zu künstlerischen Eingriffen in den Stadtraum interpretiert werden, in deren Verlauf die Atmosphäre in der Stadt offener geworden ist.

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Weiterführende Literatur/Quellen

Film

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Erstveröffentlichung 2010