Die Orgellandschaft in Westfalen und angrenzenden Regionen im 16. Jh.

01.01.2010 Vera Lüpkes

Kategorie: Bildung, Kultur und Sport

Schlagworte: Westfalen · Geschichte · Musik · Orgel

Inhalt

Dass die Orgellandschaft in Westfalen-Lippe sehr reich ist, belegen zahlreiche erhaltene Instrumente, die schwerpunktmäßig im 18. und 19. Jh. entstanden. Diesen Reichtum dokumentiert Hannelore Reuter in ihrem Kulturreiseführer "Historische Orgeln in Westfalen-Lippe" von 2006.

Von den Impulsgebern dieser blühenden Kultur und deren Anfängen haben wir jedoch nur eine diffuse Vorstellung.

Um das Bild zu schärfen, wird im vorliegenden Beitrag der Aktionsradius einer Orgelbauerwerkstatt des 16. Jh.s dargestellt. Wir folgen den in Zwolle ansässigen Orgelbauern Slegel. Sie gehören – neben de Mare, Lampeler van Mill und Niehoff – zu den vier einflussreichen niederländischen Familien, die den Orgelbau ab der Mitte des 16. Jh.s in Nordwestdeutschland belebten. Folgt man dem berühmten Organisten und Schriftsteller Michael Praetorius, so haben die Niederländer "Germania nostra… sehr florirn" lassen.

Abb. 1: Detail der Orgel in St. Marien (Lemgo), erbaut von Georg Slegel 1586–95 (Foto: W. Milting)

1. Situation um 1550 in Westfalen-Lippe

Die theologische Gewichtung der Musik prägt bzw. prägte unsere Orgellandschaft.

Das Konzil von Trient (1545) normierte die lateinische Liturgie und forderte von der Kirchenmusik Textverständlichkeit. Das hatte zur Folge, dass die Orgel auf Vor- und Nachspiel beschränkt blieb und den Chor ersetzen durfte. In katholischen Kirchen kam Orgeln im 16. Jh demzufolge keine große Bedeutung zu.

Die Reformatoren werteten Kirchenmusik kontrovers
Für Martin Luther war sie neben der Theologie die höchste Kunst und wichtigste Disziplin. Calvin und Zwingli akzeptierten allenfalls Gesang in der Kirche, aber keine Orgeln. Mit dem Bildersturm wurden sie aus den Kirchen entfernt.

Daraus resultiert, dass vorzugsweise in lutherischen Gemeinden alte Orgeln repariert und neue errichtet wurden. Die Gemeinden folgten der Empfehlung von Arnold Schlick, den Standort einer neuen Orgel sorgfältig zu planen: Denn das harmonische Zusammenspiel von Orgel und Chorgesang müsse gewährleistet sein, der Organist den Priester am Altar hören können und die Orgel solle "… Zier der Kirche…" sein, denn "… wenn die Orgel ein rechtes An­sehn…" habe, rege sie "… durch geziemende Figuren und Gemälde zur Andacht…" an, "nicht aber durch leichtfertige liederliche Possen…".

Der Orgelbau-Boom während der 2. Hälfte des 16. Jh.s in Westfalen-Lippe erklärt sich nicht nur aus liturgisch-ästhetisch-repräsentativer Wertschätzung. Einige Kirchengemeinden besaßen keine Orgel mehr. Denn Wiedertäufer hatten Kirchen geplündert und die Orgeln zerstört.

2. Die Niederlande nach 1550

Bevor calvinistisch gewordene Gemeinden Orgeln als "des Teufels Pfeifenstuhl" beschimpften und das Orgelspiel als "papistische Irrlehre" abtaten, hatte die niederländische Orgelbaukunst eine erste Blüte erreicht. Ab 1566 richtete sich der calvinistisch motivierte Bildersturm auch gegen Orgeln. Gemäß Synodalbeschluss von 1574/78 in Dordrecht durften keine neuen angeschafft werden. Damit verloren viele der bedeutenden Orgelbauer Kirchen und Klöster als Auftraggeber.

Die kriegerischen Auseinandersetzungen mit Spanien beschränkten den Kreis der profanen Auftraggeber im eigenen Land ebenfalls. Demzufolge erweiterten niederländische Orgelbauer ihren Aktionsradius um Nordwestdeutschland.

3. Niederländische Orgelbauer

Im 16. Jh. spielten neben den oben genannten vier brabanter Orgelbauerfamilien auch Johannes Graurock und Jan Rose eine bedeutende Rolle. Sie alle versorgten jeweils eine besondere geographische Region.

Die Familie de Mare aus Gent orientierte sich Richtung Ostfriesland bis zur Lüneburger Heide. Aktiv waren sie auch in Bremen, Stadthagen, Hannover, Celle und Verden. Johannes Graurock arbeitete schwerpunktmäßig im Rheinland.

Arndt Lampeler van Mill aus Herzogenbusch baute 1569 mit seinem Lehrmeister Nikolas Niehoff die Kölner Domorgel um; dies war sein Entree in die Orgelbauerszene Nordwestdeutschlands. Danach erhielt er den begehrten Auftrag der St. Lamberti Kirche zu Münster und lernte dabei Jan Rose kennen. Später errichtete bzw. reparierte die Werkstatt verschiedene Orgeln in Ostfriesland. Niehoff aus Herzogenbusch modernisierte die Orgel in der Hamburger St. Petrikirche.

Abb. 2: Geographische Verbreitung der Orgeln aus der Werkstatt SLEGEL 1540–1677 (Entwurf: V. LÜPKES, Quellen: s. Literaturverzeichnis)

4. Slegel aus Zwolle

Die Menge der heute noch nachweisbaren Orgelneu- und -umbauten der Or­gelbauerfamilie Slegel lässt vermuten, dass sie die aktivsten in Nordwestdeutschland waren und ihren Aktionsschwerpunkt in Westfalen-Lippe hatten.

Nachweisbar ist die Familie Slegel erstmals 1524, als Jorrien Slegel Spielmann in Zwolle wurde. 1539 erwarb er dort das Bürgerrecht und verstarb am 05.03.1568. Er war verheiratet mit Merritgen. Die beiden hatten zwei Söhne Michael und Cornelius. Deren Ge­burtsjahr wird mit um 1525 angenommen. Sie wurden wie ihr Vater Orgelbauer. Michael hatte seinerseits ebenfalls zwei Söhne: Jorrien II, oder auch Georg genannt, und Jan. Von Georg, Jorrien II wissen wir, dass er 1592 das Bürgerrecht in Osnabrück erhielt. Noch am 18.10.1629 ist er in Osnabrück als Orgelmacher und Bürger nachweisbar. An diesem Tag beantragte er den Geburtsbrief seines Sohnes Jürgen Michael.

Jan Slegel war Orgelmacher und Organist an der Grote Kerk in Zwolle. Mit dem Lebensende der beiden Söhne Jan Slegels, Jan II und Arent, beide Organist bzw. Orgelmacher in Kampen, verstummen um 1677 die Nachrichten über die niederländische Orgelbauerfamilie Slegel.

Mit ihrer Arbeit hatten sie sich zunächst auf die Provinz Overijssel und auf den benachbarten niedersächsischen Landkreis Grafschaft Bentheim konzentriert. 1545 arbeitete Slegel erstmals in Osnabrück. Ihre Arbeiten in Hasselt und Emden erbrachten keine weiteren Aufträge der Umgebung. Von einem Durchbruch kann man sprechen bei ihrer Orgel für St. Martin 1559/60 in Stadthagen. Es folgten Aufträge u. a. aus Bremen, Nienburg, Hildesheim und Celle. Einen weiteren Impuls setzte die Werkstatt mit ihrer Orgel für St. Marien 1571 in Osnabrück. Herford, Lemgo (Abb. 1) und Minden folgten mit insgesamt sechs Aufträgen. Vermutlich dadurch motiviert ließ sich Georg Slegel in Osnabrück nieder, erschloss den westdeutschen Raum dennoch nicht besser. Es folgten nur zwei Aufträge, aus Dortmund und Cloppenburg, die von Osnabrück aus besser bearbeitet werden konnten als aus dem fernen Zwolle. Während ihrer Endphase arbeitete die Werkstatt vorzugsweise wieder in der Region um Zwolle.

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2010