Zeitschichten an der Stever – Kulturlandschaft aufspüren

01.01.2007 Michael Höhn

Inhalt

Eine modellhafte Studie des Westfälischen Amtes für Landschafts- und Baukultur über eine Landschaft im südlichen Münsterland zeigt, dass ein kulturlandschaftlicher Untersuchungsansatz zusätzliche Erkenntnisse für die Ortsentwicklung mit sich bringt. Mit der pragmatischen Herangehensweise gelingt es, Impulse für einzelne Fachplanungen zu geben. Kulturlandschaft ist als interdisziplinäres Thema nicht nur Aufgabe der Landschaftsplanung. Die Arbeit vor Ort kann, ohne einen wissenschaftlichen Anspruch zu vertreten, Hinweise zum Beispiel für eine Tourismuskonzeption oder die Bauleitplanung geben.

Abb. 1: Hof Schulte Kökelsum (Foto: LWL-M. Höhn)

Fragestellung vor Ort

Die Stadt Olfen gehört zum Kreis Coesfeld und bezeichnet sich selbst auf ihrer Homepage als ein "gutes Stückchen Münsterland".

Die Nähe zum Ruhrgebiet hat der Stadt Olfen in den letzten Jahren einen regelrechten Bauboom beschert, der durch einen Bevölkerungszuwachs von bis zu 4% jährlich ausgelöst wurde.

Trotzdem wirkt die Landschaft zwischen den Siedlungsbereichen und dem nahe gelegenen kleinen Fluss Stever noch eher beschaulich (Abb. 1). Auf den ersten Blick enthält sie keine Sehenswürdigkeiten. Die zweite, genauere Betrachtung enthüllt eine Reihe interessanter Bezüge und Hintergründe.

Die ländliche Siedlungsstruktur mit den Herrensitzen und zugeordneten Kotten gewann im 13. Jh. an Kontur. Die sogenannten Kötter waren von den Grundherren abhängig und bewirtschafteten oftmals kleine Parzellen in der Nachbarschaft zum Gutshof.

Seit dem Mittelalter hat sich die Kulturlandschaft an der Stever mehrfach gewandelt. Die Geschwindigkeit und der Umfang der Veränderungen hat seit der Mitte des 19. Jh.s ein Ausmaß erreicht, das Anlass ist, die Wurzeln dieser Entwicklungen bei der weiteren Planung zu berücksichtigen und so die Vergangenheit Olfens in eine lebendige Zukunft zu überführen.

Die Zeiten überdauernden Elemente oder solche, die sich im Lauf der Zeit entwickelt haben, werden von den einzelnen Fachdisziplinen in Wert gesetzt und zum Teil auch unter Schutz gestellt. Die alten Waldbestände sind in den Naturpark Hohe Mark einbezogen worden. Das ehemalige Herrenhaus Füchteln und die nahgelegenen Mühlengebäude stehen unter Denkmalschutz. Die Steveraue ist als Naturschutzgebiet und FFH-Gebiet gesichert. Durch das Hinzufügen einer landschaftsgeschichtlichen Dimension und eine interdisziplinäre Zusammenschau der wesentlichen Kulturlandschaftselemente wurde das vorhandene Wissen über das Gebiet ergänzt.

Abb. 2: Zeitschichten in der Landschaft - die preußische Uraufnahme ist auch heute noch eine wertvolle Informationsquelle (Quelle: Vergrößerung aus: Preußische Kartenaufnahme 1:25000, 1836-1850, Blatt 4210, Lüdinghausen, Landesvermessungsamt NRW)

Die Zwiebelschalen der Landschaft

Wandel und Kontinuität der Landschaft an der Stever lassen sich durch den Vergleich von Karten aus unterschiedlichen Zeiten feststellen. Die Analyse gleicht dem Zwiebelschälen: Schicht für Schicht wird abgezogen oder zurückgeblättert, um die darunter liegenden Fasern freizulegen.

Die letzten 160 Jahre sind in zusammenhängenden Karten gut dokumentiert. Einige Inselkarten und Skizzen konnten zusätzlich herangezogen werden und reichen teilweise bis in das 18. Jh. zurück. Durch den Vergleich der Landschaft zu unterschiedlichen Zeitpunkten zeigt sich deutlich, wie sich die Landnutzung geändert hat und welche Gebäude wann hinzugekommen oder auch aufgegeben worden sind.

Als Referenzpunkt für die Untersuchung wurde das Jahr 1841 gewählt, in dem die preußische Uraufnahme von Olfen entstand (Abb. 2). Die Karten wurden interpretiert und in ein digitales Flächennutzungskataster überführt. Mit Hilfe entsprechender GIS-Software sind die folgenden Zeitschichten abgebildet:

1841 - Preußische Uraufnahme,
1894 - Preußische Neuaufnahme,
1955 - Topografische Karte,
2003 - Deutsche Grundkarte.

Methodisch ergeben sich bei der Auswertung und beim Vergleich der Karten eine Reihe von Unschärfen. Nicht nur die Verzerrung in den Karten selbst, sondern auch der unterschiedliche Ausgangsmaßstab erfordern Interpretationsarbeit. Dadurch gelingt es in der Regel, das Einzelobjekt zu lokalisieren und in seinem zeitlichen Wandel zu erkennen.

Im Unterschied zu den späteren Landesaufnahmen waren im Jahre 1841 noch große Heidegebiete vorhanden. Diese ausgebeuteten Flächen galten damals als wüst. Die Heide ist heute bis auf Sekundärstandorte vollständig verschwunden. So entstand eine Waldverteilung, die das Landschaftsbild nachhaltig bestimmt und uns als Zeitgenossen vertraut vorkommt. Einem generellen Trend folgt die Grünlandnutzung im Gebiet. Der Anteil dieser Flächennutzung war 1894 und 1955 gleichmäßig. Danach kam es zu einem großflächigen Verlust, weil die Wiesen und Weiden als Ackerschläge umgebrochen wurden. Davon stark betroffen war die sensible Flussaue. Erst durch ein landesweit beachtetes, koordiniertes Kompensationsflächenkonzept für einen Teil der Steveraue gelang es, den Trend zu brechen und zusammenhängende Weideflächen mit einem Besatz an ursprünglichen Tierrassen wie Heckrinder und Konikpferde zu schaffen.

Eine entscheidende Rolle beim Kulturlandschaftswandel hat das Wachstum der Siedlungsfläche. Sie hat innerhalb der letzten Jahrzehnte rasant zugenommen. Der Vergleich der Zeitschichten 1894 und 1955 zeigt einen geringfügigen Zuwachs der besiedelten Bereiche. Demgegenüber scheinen die Erweiterungen bis 2003 beinahe explosionsartig.

Es ist diese Dynamik, die eine Neubewertung der überkommenen Kulturlandschaftselemente erforderlich macht. Die Wegebeziehungen, die Standorte der bedeutenden Gräftenhöfe (s. Beitrag Bockholt/Weber) und der Mühle bilden zusammen mit den kleinen Kotten das Gerüst, das planerisch aufgegriffen werden kann.

Parallel ist die Untersuchung der einzelnen Landschaftsbestandteile auch die Vorarbeit für ein landesweites Kulturlandschaftskataster. Die Objekte von überörtlicher kulturhistorischer Bedeutung sollen hier mit den entsprechenden Hintergrundinformationen eingespeist und in ihrer Beziehung zu weiteren Objekten beschrieben werden. So könnten beispielsweise bei der Beschreibung eines Gutshofes Hinweise auf den alten Gräftenzulauf oder eine zugehörige Jagdhütte aufgenommen werden. Das Kulturlandschaftsinformationssystem auf der Basis eines Katasters befindet sich beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe zur Zeit im Aufbau.

Ein Leitgedanke im Umgang mit Kulturlandschaft sollte sein, die Kulturlandschaftseinheiten als erkennbar unterschiedliche Räume weiterzuentwickeln. Die typischen und bedeutenden Elemente gilt es dabei insbesondere durch eine sinnvolle, moderne Nutzung zu bewahren. Wichtig erscheint dabei vor allem, dass die geschichtliche Dimension auch bei einem Bedeutungs- oder Funktionswandel gewahrt bleibt. Mit anderen Worten sind sorgfältig platzierte und wohlproportionierte Nutzungen die Motoren einer positiven Kulturlandschaftsentwicklung.

Geschichte als Potential der Landschaft

Die Ergebnisse solcher Landschaftsanalysen auf örtlicher Ebene können Anstoßwirkung haben. Zum Beispiel kann es gelingen, mit Hilfe von Sponsoren Folgeprojekte umzusetzen wie etwa einen kulturhistorischen Rundkurs. Auf diese Weise lassen sich die Gedanken der ortsansässigen Nutzer und der Touristen durch die zeitliche Dimension von Landschaft anregen. Zudem kann die auf die Kulturlandschaft ausgerichtete Ortsentwicklung einen Beitrag zur Ausbildung eines regionalen Profils leisten und einer Uniformierung der reich gegliederten Landschaft vorbeugen. Die Kulturlandschaft in ihrer Qualität sollte als öffentlicher Belang in der Planung eine wesentlich stärkere Gewichtung erhalten.

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2007