"Westfalen im Bild" - Texte

Höper, Hermann-Josef
Alltagsleben römischer Legionäre
Münster, 1985



Einleitung

Während bei der Bildserie "Römerlager an der Lippe" versucht wird, unter Beachtung literarischer Überlieferung und des archäologischen Befundes Ereignisse und Ablauf des von 12 vor bis 16 nach Christus dauernden römischen-germanischen Krieges in historisch gesicherten Aussagen zu rekonstruieren, so möchte diese Bildserie in einer - zugegeben begrenzten - Form die Möglichkeit bieten, sich selbst oder zum Beispiel eine Schulklasse mit dem alltäglichen Leben, der Umwelt eines römischen Legionärs vertraut zu machen. Mehr noch als bei der Serie "Römerlager an der Lippe" ist die Archäologie diejenige historische Wissenschaft, die für diese Serie die Dokumente zugänglich gemacht hat und zur Verfügung stellt.

Archäologie ist heute wieder ein weitgefaßter Begriff, der wörtlich übersetzt Lehre von den vergangenen, den alten Dingen in universalem Sinne bedeutet. In dieser Weise ist der Begriff bereits von den griechischen Schriftstellern verwendet worden. Thukydides (ca. 455 bis. 396 v. Chr.), der mit seinem Werk über den Peloponnesischen Krieg als der Begründer einer objektiven Geschichtsschreibung gilt, zieht aus materiellen Resten historische Schlüsse. In seiner bezeichnenderweise "Archaiologia" überschriebenen Einleitung behauptet er, die Phönizier und Karer hätten vor langer Zeit die meisten der ägäischen Inseln bewohnt, und als Beweis führt er an: "Als die Athener während des Krieges Delos reinigten und alle Gräber von der Insel entfernten, zeigte sich, daß mehr als die Hälfte der Toten Karer waren, was man aus der beigegebenen Bewaffnung und den noch heute üblichen Bestattungsriten ersehen kann." Diese gleichwertige Nutzung mündlicher, schriftlicher und dinglicher Überlieferung bzw. archäologischer Dokumente ist im Verlaufe des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit gänzlich verlorengegangen, als der Begriff Archäologie nur noch auf das Studium von Kunstwerken - gemeinhin Altertümer - angewandt wurde, die in Kuriositätenkabinetten der Fürsten zu finden waren, völlig losgelöst, ja herausgerissen, aus ihrem historischen Zusammenhang. Unter derartigen Bedingungen konnte es nicht ausbleiben, daß die historische Sichtweise verloren ging und nur noch die ästhetische zählte. Schließlich blieb der Archäologie nicht erspart, als ein Zögling der Altphilologie zu gelten, eingeengt auf den Rahmen einer Geschichte der griechischen und römischen Kunst und beruhend auf literarischen Quellen. Dadurch aber wurde ein archäologisches Dokument noch mehr zu einem reinen Sammlerstück und Objekt intellektueller Kabinettstückchen.

Erst durch die Entwicklung diffizieler Arbeitsmethoden in der archäologischen Feldforschung - entwickelt von den Prähistorikern -, die zunehmend an Bedeutung gewannen, konnte diese Phase nach der letzten Jahrhundertwende allmählich überwunden werden. Heute steht nicht mehr das Kunstwerk im Mittelpunkt archäologischer Tätigkeiten, losgelöst von der realen Welt, von der es aber gar nicht getrennt werden darf. Hauptinteresse aller archäologischen Wissenschaften ist der Befund, während der Fund - zu bestimmten Zeiten identisch mit dem Begriff Kunstwerk - lediglich als Siegel eines Dokumentes gelten kann.

Die römischen Lager an der Lippe besitzen über den westfälischen Raum aus internationale Bedeutung in der Archäologie, da sich aufgrund der begrenzten Belegungszeit mit den in ihnen gemachten Funden ein recht genaues Bild über das Heer zur Zeit des Kaisers Augustus gewinnen läßt. In der gesamten Keramikforschung zum Beispiel gilt das Lager Oberaden wegen seiner kurzen und in der absoluten Chronologie sicher fixierbaren Belegungszeit von 11 bis 8 v. Chr., gleichsam als Schlußstein des Datierungsbogens.

Funde aus anderen Bereichen des Alltags römischer Legionäre besitzen für die römische Militärgeschichte dahingehend eine große Bedeutung, als die Lager an der Lippe kurz nach der Augusteischen Heeresform entstanden sind, bei der die Zweiteilung der regulären Truppen in Legionen (bestehend aus römischen Bürgern) und in Auxiliareinheiten (Hilfstruppen verschiedener Volksstämme des römischen Reiches) eingeführt worden war. Die Ausrüstung und Bewaffnung der Legionäre wurde weitestgehend vereinheitlicht, während die Auxiliareinheiten ihre je nach Stammeszugehörigkeit charakteristischen Waffen beibehielten. Die Soldaten bekamen einen regelmäßigen Sold und mußten am Kriegsgewinn nicht mehr beteiligt werden. In der Legion betrug die aktive Dienstzeit nun 20 Jahre, plus fünf Jahre Veteranendienst. In den Auxiliareinheiten dienten die Soldaten allgemein 25 Jahre. Bei seiner Entlassung konnte ein römischer Legionär sowohl eine Geldabfindung als auch eine Realabfindung in Landbesitz erhalten. Soldaten der Hilfstruppen erhielten für sich, ihre Frauen und Kinder das römische Bürgerrecht.



Westfalen im Bild, Reihe: Vor- und Frühgeschichte in westfälischen Museen, Heft 4