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Teil 2 –
Tagungsdokumentation

 
 
 

"Politische Partizipation von Frauen im 20. Jahrhundert"

 
 



 




 
 





 
Petra Holz
 
 

"Zwischen Tradition und Emanzipation": CDU-Politikerinnen in bundesrepublikanischen Parlamenten
1945 bis 1957

 
 
 
In der politikgeschichtlichen Historiographie der Bundesrepublik zur Nachkriegszeit kamen Frauen lange Zeit, wenn überhaupt, nur im Bild der Trümmerfrau vor. Auch die historische Frauen- und Geschlechterforschung verortete das Engagement von Frauen zunächst vor allem im sogenannten 'vorpolitischen' Raum. Allerdings wurde zur Beschreibung ihrer Aktivitäten bereits ein erweiterter Partizipationsbegriff zugrunde gelegt, der die Relevanz des politischen Handelns von Frauen in den bis dahin häufig als 'unpolitisch' apostrophierten Vorfeldorganisationen, wie Vereine und Verbände, hervorhob. Dadurch fielen allerdings Parlamentarierinnen wie auch generell Frauen, die sich in den etablierten politischen Organisationen engagierten, durch das eng gefasste Raster. [1]

Demgegenüber möchte sich die folgende Darstellung explizit mit denjenigen bürgerlichen Politikerinnen beschäftigen, deren Parteien in der ersten Legislaturperiode des Bundestages die Regierung stellten. Konkret soll danach gefragt werden, welches Rollenverständnis und welchen Politikbegriff die Politikerinnen der CDU und FDP ihrem politischen Handeln zugrunde legten, wie sie ihr Engagement vor sich, ihrer weiblichen Wählerschaft und vor den männlichen Parteigenossen legitimierten. Und nicht zuletzt: Welche Bedeutung hatte die Diskussion um die politische Partizipation und um den sozialen und gesellschaftspolitischen Ort von Frauen für die Demokratisierung der Gesellschaft der Bundesrepublik in der Nachkriegszeit?

Erörtert werden diese Fragestellungen am Beispiel der Debatte, die um die Durchsetzung und Realisierung von Art. 3 Abs. II des Grundgesetzes ("Männer und Frauen sind gleichberechtigt") geführt wurde.

Politikerinnen aller Parteien waren Ende der 1940er / Anfang der 1950er Jahre an den Diskussionen um die Ausgestaltung der rechtlichen Konsequenzen beteiligt, die sich aus dem Gleichberechtigungsartikel ergaben. Maßgeblich involviert an dessen Umsetzung waren vor allem die Politikerinnen der Regierungsfraktionen. Die Analyse der hierbei geführten Debatten verdeutlicht, dass insbesondere die Politikerinnen der CDU ihr Engagement auf zweierlei Weise begründeten: Entweder argumentierten sie mit Rekurs auf 'Gleichheit' oder aber mit Verweis auf die 'Differenz' zwischen den Geschlechtern.
 
 

1. Politische Partizipation der ersten Politikerinnengeneration in CDU und FDP

 
 
 
Am 12.07.1948 berichtete die Goslarer Ratsfrau Else Brökelschen an Helene Weber, Vorsitzende der CDU-Frauenunion:
"Augenblicklich sitze ich als einzige Frau in einem Ratsherrenkollegium mit absoluter CDU-Mehrheit und betreue die Fürsorge. Der Landesfrauenausschuss ist eine recht unfruchtbare Angelegenheit. Es fehlt jede Resonanz, die Suche nach 'Frauenfragen' hat etwas Gequältes. Ob die Ziele und Aufgaben der alten Frauenbewegung, nach denen-eingestanden oder uneingestanden-doch auch die Frauenausschüsse der Parteien ... ihre Arbeit ausrichten, nicht vielleicht doch nur dem bürgerlichen Zeitalter verbunden sind? Ich sehe da nicht klar." [2]

An diesem Schreiben werden gleich mehrere Punkte deutlich: Vielfach war jeweils nur eine sogenannte Alibifrau [3] in den verschiedenen Gremien der CDU vertreten, die dann meist als Vertreterin ihres Geschlechtes, nicht aber als Fachfrau für die behandelten Sachfragen wahrgenommen wurde. Hinzu trat die ausgesprochen föderale Struktur der Union. So fürchteten die meisten Landesverbände Nachteile, wenn sie etwa im Parteivorstand von einer Frau vertreten wurden. [4] Konrad Adenauer brachte diesen Sachverhalt bereits Anfang September 1949 in einer Fraktionssitzung auf den Punkt:
"Jeder sagt, es muß eine Frau dabei sein, aber keiner will sie übernehme" [5].
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Die Frau als Hüterin der christlichen Familie (1946)

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Endlich wieder kaufen können (1948)
 
 
Dabei war auch er keineswegs bereit, eine Frau in einer herausgehobenen Position zu akzeptieren. So auch nicht seine geschätzte Parteifreundin aus Kölner Tagen: Als Helene Weber 1949 als eine von fünf Kandidaten für die Vertretung Nordrhein-Westfalens im Parteivorstand vorgeschlagen wurde, konterte der "Alte":
"Das ist von Ihnen, Frau Dr. Steinbiß, sicher gut gemeint, aber ich glaube nicht, dass es richtig ist. So sehr ich Frau Weber schätze, es ist doch unmöglich, dass das Land NRW, das volkreichste Land mit der ganzen Industriearbeiterschaft, durch eine Frau alleine vertreten wird. Das geht doch nicht." [6]
 
 
 
Schließlich wurde - als es sich mehr als ein Jahrzehnt später nicht vermeiden ließ, eine Frau mit einem Ministeramt zu betrauen - das Gesundheitsministerium extra neu geschaffen, um der von der Frauenunion und vielen Frauenverbänden in Deutschland unterstützten Juristin Dr. Elisabeth Schwarzhaupt nicht das Justizministerium überlassen und keinen Mann "ausbooten" zu müssen. [7]

Vor diesem Hintergrund ist es kaum verwunderlich, dass die überwiegende Mehrheit der nach 1945 politisch aktiven Frauen in der CDU auf das ihnen seit dem Kaiserreich vertraute Konzept der "Geistigen Mütterlichkeit" zurückgriff. Auf diese Weise ließ sich das eigene Engagement in dem als 'wesensfremd' begriffenen Feld der Politik begründen. So formulierte es beispielsweise Julie Rösch, Abgeordnete des Bundestages, während des Karlsruher Parteitages im Jahre 1951.
"Bei aller Härte, die die politische Arbeit mit sich bringt, sollen wir das Frauliche und Mütterliche hineintragen." [8]
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War doch versprochen (1957)
 
 
Eine Folge dieses Politikkonzeptes war eine Arbeitsteilung, die den Frauen diejenigen Politikfelder beließ, die sich in den Jahren zuvor als die klassischen Frauenthemen etabliert hatten: Familie, Bildung und Soziales-Themen, mit denen sich innerhalb der Partei nur selten politische Meriten für die eigene Karriere gewinnen ließen, obgleich die Frauen in der CDU organisatorisch gut aufgestellt waren. Neben der Jungen Union gehörten sie zu eine der ersten zonenübergreifenden Unterorganisationen der Partei: 1948 fand die erste konstituierende Sitzung in Frankfurt statt, der Bundesfrauenausschuss gründete sich 1951 in Königswinter und seit 1956 war die Frauenarbeitsgemeinschaft der CDU/CSU Deutschlands (FAG) der organisatorische Rahmen der Unionsfrauen. [9] Innerparteilich verfügte die FAG über ein eigenes Antragsrecht auf den Parteitagen und ihre beiden gleichberechtigten Vorsitzenden waren qua Amt Mitglied im Bundesvorstand der Partei. Die organisatorischen und strukturellen Voraussetzungen für eine erfolgreiche politische Arbeit waren also durchaus gegeben. Dennoch blieb das Bild der ersten Politikerinnengeneration in der CDU blass, inhaltliche Arbeitsschwerpunkte sind kaum in der Erinnerung präsent, im Vordergrund stand der mühsame und wenig erfolgreiche Kampf um personalpolitische Berücksichtigung, [10] wie auch die Politikerinnen selbst das politische Geschäft als mühselig und nicht selten unbefriedigend empfanden.

Wie konnte es dazu kommen?

Auch in der CDU fühlten sich die Frauen in der unmittelbaren Nachkriegszeit von der besonderen politischen Situation in die Verantwortung genommen. Stärker noch als nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg waren die Männer nach dem Nationalsozialismus und Zweiten Weltkrieg in weiten Teilen moralisch diskreditiert-und zunächst auch physisch abwesend. Ziel war daher die
"Stärkung des Einflusses der Frau auf die Gestaltung der Gesamtpolitik unseres Heimatlandes",

wie es programmatisch auf einem frühen Treffen der hessischen CDU-Frauen im Jahre 1947 formuliert wurde. [11]

Allerdings konnten sich die hessischen CDU-Frauen in den folgenden Jahren in der Gesamtpartei nicht durchsetzen. Mit der fortschreitenden Übernahme der Geschicke der Frauenorganisation der CDU/CSU durch Helene Weber und die Vertreterinnen der katholischen rheinisch-westfälischen Unionsfrauen war schon bald wieder von den 'besonderen Aufgaben' der Frauen die Rede, die 'ergänzend' neben den Männern wirken sollten. So formulierte Helene Weber auf der konstituierenden Sitzung der FAG im Mai 1948, die Frauen sollten sich "instinktsicher" gegen die kommunistische Bedrohung wenden und ihren Einfluss innerhalb der Familie geltend machen. [12]

Nur wenige Frauen in der CDU forderten demgegenüber ein "Denken, vor allem kausales Denken" ein. [13] Die meisten hingegen plädierten für ein emphatisches Sicheinfühlen, so dass die Treffen der Unionsfrauen häufig genug von männlichen Parteikollegen despektierlich als 'Kaffeekränzchen' wahrgenommen wurden-so etwa der erste Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens, Franz Meyer, im September 1956 anlässlich der Debatte zur Wiederbewaffnung:
"Es ist nicht zu verkennen, dass viele Frauen darunter leiden, dass wir die Wehrpflicht geschaffen haben. Ich habe festgestellt, dass man dem am besten entgegnet mit einer Versammlung, in der es Kaffee und Kuchen gibt und wo man einen Spätheimkehrer sprechen lässt. Dann ist im Nu die Stimmung verflogen und der gefühlsmäßige Widerstand der Frauen gegen die Wehrgesetze ist in kürzester Zeit aufgehoben." [14]
 
 
 

2. Gleichheit oder Differenz: Helene Weber und Elisabeth Schwarzhaupt als Vertreterinnen unterschiedlichen Richtungen

 
 
 
Sowohl Helene Weber als auch Elisabeth Schwarzhaupt verkörpern wie kaum eine andere Politikerin in der Union die unterschiedlichen Vorstellungen von der Rolle und politischen Aufgabe der Frauen in der bundesrepublikanischen Nachkriegsgesellschaft. Am Beispiel ihrer Biographien lassen sich gleich mehrere gegensätzliche Punkte aufzeigen, die charakteristisch sind für das oft widersprüchliche Handeln christdemokratischer Politikerinnen generell. Weber war katholisch, Schwarzhaupt evangelisch. Sie gehörten unterschiedlichen politischen Generationen an. Weber (Jahrgang 1881) durchlief ihre Sozialisation im Kaiserreich. Schwarzhaupt dagegen war 20 Jahre jünger (Jahrgang 1901). Ihre Jugend war geprägt von den unruhigen Jahren der Weimarer Republik. Weber hatte den klassischen Frauenberuf der Lehrerin ergriffen und war im katholischen Fürsorgewesen tätig gewesen. Schwarzhaupt dagegen hatte Jura studiert und avancierte zur evangelischen Oberkirchenrätin. Sie hatte sich während der Weimarer Republik in der DVP, Weber im Zentrum engagiert. Ihre parteipolitische Orientierung entsprachen dabei den Erfahrungen und Prägungen im jeweiligen Elternhaus. Beide waren in der Zeit des Nationalsozialismus beruflich tätig geblieben, hatten sich aber auf ganz unterschiedliche Weise mit den Herausforderungen und Bedrohungen dieser Zeit auseinander gesetzt. Weber zog sich ganz auf die katholische Verbandsarbeit zurück und versuchte, durch Reisen den Kontakt unter den katholischen Frauen aufrecht zu erhalten. Schwarzhaupt hingegen machte in der evangelischen Kirchenverwaltung Karriere und versuchte dort, Freiräume zu verteidigen. Beide Politikerinnen engagierten sich bereits in den ersten Nachkriegsjahren wieder in der Politik. In der Diskussion um die Gleichberechtigung, an der beide Politikerinnen an maßgeblicher Stelle beteiligt waren, sollte sich zeigen, dass sie jeweils für ganz unterschiedliche Geschlechtervorstellungen eintraten. Während Weber, ausgehend vom Konzept der 'Geistigen Mütterlichkeit', von der traditionellen Vorstellung der 'Differenz' zwischen den Geschlechtern ausging, favorisierte Schwarzhaupt ein Frauenbild, das sich am Ideal der sozialen, kulturellen und politischen 'Gleichheit' orientierte.

Eine Aussage Webers aus einem Interview anlässlich Ihres 80. Geburtstages 1961 soll ihre Haltung verdeutlichen:
"Man darf die Frau eben nicht so rational sehen, wie das beim Manne möglich und notwendig ist, sondern man muss die politische Ausbildung einer Frau verbinden mit ihrem Gemüt und auch mit der religiösen Verantwortung." [15]

Die religiöse Verantwortung war sicherlich auch Elisabeth Schwarzhaupt gegeben, diese verhinderte aber nicht, dass sie, wie viele christdemokratische Politikerinnen, ein Fremdsein in der Politik verspürte. Diese 'Fremdheitserfahrung' führte sie aber nicht auf eine vermeintlich vorgegebene, spezifisch weibliche Wesenhaftigkeit zurück, sondern mit dem Topos von der 'Fremdheit' hinterfragt sie vielmehr ihre eigene individuelle Disposition sowie generell die Sinnhaftigkeit des politischen Machtkampfes:
"Vielleicht hängt es damit zusammen, dass bei mir die Selbstverständlichkeit eines Kampfes um die Macht nicht so eingewurzelt ist wie bei den Männern, denen ich in der Politik begegnet bin. Ich kann nur sagen, dass ich mich in einem vergleichbaren Gremium von Frauen ... mehr zu Hause gefühlt habe." [16]
 
 
 

3. Die Diskussion um den Gleichberechtigungsgrundsatz im Grundgesetz (Art. 3 Abs. II GG)

 
 
 
Am 01.10.1948 waren unter den insgesamt 65 von den Ländern entsandten Delegierten, die in Bonn im Museum König zur verfassungsgebenden Versammlung der drei Westzonen zusammenkamen, nur vier Frauen: Elisabeth Selbert und Frieda Nadig, beide SPD, und die beiden "frommen Helenen": Helene Wessel vom Zentrum und Helene Weber, Mitglied der CDU.

Ob die "ausführlichen und erregten" Debatten, die hier in den kommenden Wochen und Monaten zur Frage der Gleichberechtigung der Geschlechter geführt wurden, nur ein "Quasi-Stürmlein" waren, [17] wie der spätere Bundespräsident Theodor Heuss vermerkte, oder ob es sich um einen veritablen Wirbelsturm handelte, der die junge Bundesrepublik durchlüftete, hing sicherlich nicht zuletzt von der eigenen Einstellung ab. Mit Sicherheit aber war es nicht nur ein Kampf um Formulierungen, wie in den Publikationen der Union auch Jahre später noch behauptet wurde. [18] Vielmehr ging es um fundamental gegensätzliche Zielvorstellungen: Diskutiert wurde, wo der gesellschaftspolitische Platz der Frauen in der deutschen Nachkriegsgesellschaft zu verorten und wie die gesellschaftliche und politische Partizipation der Frauen in der Bundesrepublik zu begründen sei. Entsprechend groß war die Resonanz, die die Beratungen zu dieser Frage in der Öffentlichkeit fanden. [19]

Helene Weber hatte dem ungeliebten Artikel erst nach langem Zögern im Parlamentarischen Rat zugestimmt, nachdem sie sich zunächst für die Formulierung des Redaktionsausschusses des Parlamentarischen Rates eingesetzt hatte, die auf dem entsprechenden Artikel 109 der Weimarer Reichsverfassung von 1919 beruhte:
"Alle Männer und Frauen haben dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten".

Jetzt war zwar nicht mehr von den nur "grundsätzlich" gleichen Rechten und Pflichten die Rede wie sie noch die Formulierung von 1919 beinhaltete, und die dadurch eher den Charakter einer Richtlinie denn eines Grundsatzes besaß. Weiterhin war aber auch in dieser Formulierung vorgesehen, dass die Gleichheit der Geschlechter lediglich auf die klassischen droits politiques, die staatsbürgerlichen Rechte, zu beschränken sei. Der Antrag Elisabeth Selberts "Männer und Frauen sind gleichberechtigt", von ihrer Parteifreundin Frieda Nadig im Grundsatzausschuß am 30.11.1948 eingebracht, platzte dementsprechend in diese Diskussion hinein wie eine Bombe. [20]

Auch die Frauen in den Landesverbänden der Union hatten die Frage der Gleichberechtigung der Geschlechter nicht immer im Sinne Helene Webers in ihren Ausschüssen diskutiert. Erwähnt sei an dieser Stelle nur der Entwurf der baden-württembergischen Juristin Dr. Maria Friedemann-Fritzle, in dem die Punkte 'Gleichheit vor dem Gesetz', 'Gleichstellung der häuslichen Arbeit mit der Berufsarbeit' und der 'Lohngleichheit' hervorgehoben wurden. Schließlich kam es zu den bekannten "Waschkörbeweisen" Eingaben an den Parlamentarischen Rat und zu der schließlich einstimmigen Annahme der Selbertschen Formulierung im Hauptausschuss am 03.12.1948. Die Formulierung Helene Webers, in Anlehnung an das Aristotelische Gleichheitsverständnis, wonach Gleiches gleich, Verschiedenes aber nach seiner Eigenart zu behandeln sei, hatte sich nicht durchgesetzt.

In den nun nachfolgenden Diskussionen um die Angleichung des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) an das Gleichberechtigungsgebot des Grundgesetzes erwuchs Weber mit der Frankfurter Oberkirchenrätin Elisabeth Schwarzhaupt eine Gegenspielerin in den eigenen Reihen, die es verstand, die progressiven Strömungen innerhalb der weiblichen Unionsmitglieder hinter sich zu vereinen. Mit ihrem Antrag auf zur Streichung des männlichen Letztentscheidungsrechtes aus den familienrechtlichen Bestimmungen des BGB konnte Schwarzhaupt sich auch des Beifalls der SPD gewiss sein. Allerdings sollte es noch bis zum Jahre 1957 dauern bis schließlich mit Hilfe der Gerichte die strittigen Paragraphen 1356 und 1628 das Letztentscheidungsrecht des Ehemanns und Vaters aus dem BGB gestrichen werden konnten. [21]

Helene Weber hatte in dieser Zeit immer wieder versucht, trotz aller Kontroversen innerhalb der eigenen Partei ein einheitliches Bild der Unionsfrauen in der Öffentlichkeit zu vermitteln. Doch gelang ihr dies nur zum Teil: Ihrer Behauptung, die Mehrheit der katholischen Frauen sei für die Beibehaltung der christlich-patriarchalischen Ehe, wurde bei den wenigen Treffen der Unionsfrauen zu dieser Thematik heftig widersprochen. Stattdessen So sprach sich die Mehrheit der Teilnehmerinnen beim Treffen des Bundesfrauenausschusses im Juli 1952 in Königswinter für die Streichung des ehemännlichen Stichentscheides aus. Zwar akzeptierten viele Frauen die traditionelle Geschlechterrollenverteilung in der Ehe, sie leiteten aber entgegen der Argumentation Webers aus der Priorität der Mutterrolle in der Erziehung auch das Recht zur Ausübung der elterlichen Gewalt ab, womit sie sich deutlich gegen die Position ihrer Partei und der katholischen Kirche stellten. [22] Zu einer Abstimmung kam es in Königswinter nicht. Gegenüber der Öffentlichkeit war die Diskussion im Nachhinein zum privaten Meinungsaustausch erklärt worden. Die Presse hatte man vorausschauend schon vor Beginn der Debatte des Saales verwiesen.

Hatte Weber in dieser Auseinandersetzung stets für eine gesetzliche Fixierung des ehemännlichen Vorrechts gestritten, plädierte Schwarzhaupt dafür, dass die Vormundschaftsgerichte in strittigen Ehefragen entscheiden sollten. Sie sah klar die Grenzen staatlicher Gesetzgebung:
"Wieweit hat staatliche Gesetzgebung die Macht, Leitbilder für die Struktur der Familie in einer sich wandelnden Gesellschaft aufzustellen, wieweit kann staatliches Recht in einem konfessionell gemischten Volk christliche Überzeugungen übernehmen, und wie wird die Eigenständigkeit der Familie gegenüber dem Staat am besten gewahrt." [23]

In den Debatten um die Gleichberechtigung der Geschlechter waren erstmals die Grenzen traditioneller gesellschaftlicher Leitbilder wie auch die Gebrochenheit überkommener Weiblichkeitsvorstellungen und Frauenbilder bei den konservativen, kirchlich geprägten Politikerinnen deutlich geworden. Die Frage, inwieweit die Notwendigkeit einer Neubestimmung des Ortes von Frauen in Gesellschaft und Familie ernst genommen würde, war ein wesentlicher Faktor für das weitere Gelingen von Demokratisierung und Modernisierung der westdeutschen Gesellschaft. Die Politikerinnen in der CDU waren an dieser Neubestimmung maßgeblich beteiligt. Sie hatten innerhalb der Frauen-Union wie auch in ihrer Gesamtpartei und sogar darüber hinaus in der Öffentlichkeit um die "richtige" Formulierung-nicht nur im Gesetzestext-gerungen.
 
 
 



Anmerkungen

[1] Vgl. Thomas Kühne, Staatspolitik, Männerpolitik, Frauenpolitik, in: Geschlechtergeschichte und Allgemeine Geschichte. Herausforderungen und Perspektiven, hrsg. von Hans Medik und Anne-Charlott Trepp, Göttingen 1998, S. 173-235; Rebekka Habermas, Frauen- und Geschlechtergeschichte, in: Kompass der Geschichtswissenschaften, hg. Von Joachim Eibach und Günther Lottes, Göttingen 2002, S. 231-245.
[2] Institut für Zeitgeschichte (IfZ), Nachlass Helene Weber ED 160/9. Zu Else Brökelschen vgl. auch: Deutscher Bundestag-Wissenschaftliche Dienste (Hg.), Parlamentarierinnen in Deutschen Parlamenten 1949-1993 (= Materialien Nr. 122), Bonn 1993, S. 127.
[3] So etwa Elisabeth Schwarzhaupts Einschätzung der eigenen Position nach Ihrer Ernennung zur ersten Ministerin der Bundesrepublik 1961, in: Elisabeth Schwarzhaupt, Abgeordnete des Deutschen Bundestags. Aufzeichnungen und Erinnerungen. Bd. 2, hg. vom Deutschen Bundestag, Boppard 1983, S. 267.
[4] Frank Bösch, Macht und Machtverlust. Die Geschichte der CDU, München 2002, S. 242f.
[5] Fraktionssitzung vom 01.09.1949, zit. nach: Auftakt zur Ära Adenauer. Koalitionsverhandlungen und Regierungsbildung 1949, bearb. von Udo Wengst (= Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. 4. Reihe: Deutschland seit 1945. Bd. 3), Düsseldorf 1985, S. 179.
[6] Ebd. Die Bielefelder Ärztin Dr. Victoria Steinbiß gehörte während der ersten drei Legislaturperioden dem Deutschen Bundestag an.
[7] Vgl. Bösch, Macht, S. 242.
[8] Bericht über die Tagung des Bundesrauenausschusses der CDU in Königswinter am 22./23.09.1951, in: Archiv für Christlich-Demokratische Politik St. Augustin (ACDP), IV-003-001/2.
[9] Alle weiblichen CDU-Mitglieder waren gleichzeitig Mitglied in der FAG (Mitte der 60er Jahre waren dies bereits 35.000 Mitglieder). Das Mitgliederverhältnis in der CDU machte 1946 knapp 10% bis 1997 knapp 25% Frauen aus.
[10] Vgl. Bösch, Macht, S. 243.
[11] IfZ, NL Helene Weber ED 160/11.
[12] Ebd., ED 160/7.
[13] Gabriele Strecker 1948, zitiert nach: Irene Stoehr, Der Mütterkongreß fand nicht statt. Frauenbewegung, Staatsmänner und Kalter Krieg 1950, in: WerkstattGeschichte 17 (1997), S. 79.
[14] 20.09.56, Die Protokolle des CDU-Bundesvorstandes 1953-1957, bearb. Von Günter Buchstab (= Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte, Bd. 8), Stuttgart 1986, Dok. Nr. 16, S. 1046 f.
[15] Helene Weber, Warum ich in die Politik ging, in: Das Ruhrwort vom 18.03.1961. Zur Biographie Helene Webers vgl. u.a.: Birgit Sack, Zwischen religiöser Bindung und moderner Gesellschaft. Katholische Frauenbewegung und politische Kultur in der Weimarer Republik (1918/19-1933), Münster 1998, S. 421; Heide-Marie Lauterer, Helene Weber (1881-1962), in: Frauen in Marburg. Bd. 3, hg. vom DGB Kreis Mittelhessen, Marburg 1996, S. 183-186; Regine Marquardt, Das Ja zur Politik. Frauen im Deutschen Bundestag 1949-1961, Opladen 1999, S. 69-101.
[16] Elisabeth Schwarzhaupt. Abgeordnete im Deutschen Bundestag, S. 276. Zur Biographie Schwarzhaupts siehe vor allem: Heike Drummer / Jutta Zwilling, Elisabeth Schwarzhaupt. Eine Biographie, in: Elisabeth Schwarzhaupt. Porträt einer streitbaren Politikerin und Christin (1901-1986), hg. von der Hessischen Landesregierung, Freiburg 2001, S. 14-136.
[17] Der Parlamentarische Rat 1948-1949. Akten und Protokolle. Verhandlungen des Hauptausschusses, 42. Sitzung (18.01.1949), Bonn o.J., S. 542.
[18] So etwa Katalog zur Ausstellung anlässlich des fünfzigjährigen Bestehens der Frauen-Union: Angela Keller-Kühne / Sabine Klein, 50 Jahre Frauen-Union der CDU, hg. vom Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V., Meckenheim 1998, S. 67.
[19] Zur Geschichte des Parlamentarischen Rates: Werner Sörgel, Konsensus und Interessen. Eine Studie zur Entstehung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart 1969 sowie: Ute Sacksofsky, Das Grundrecht auf Gleichberechtigung. Eine rechtsdogmatische Untersuchung zu Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes, Baden-Baden 1996; Marianne Feuersenger, Die garantierte Gleichberechtigung. Ein umstrittener Sieg der Frauen, Freiburg/Br. 1980.
[20] Zu Elisabeth Selbert vgl. u.a. Gisela Notz, Frauen in der Mannschaft. Sozialdemokratinnen im Parlamentarischen Rat und im Deutschen Bundestag 1948/49 bis 1957, Bonn 2003, S. 80-110.
[21] § 1356 (BGB): "Dem Manne steht die Entscheidung in allen das gemeinschaftliche Leben betreffenden Angelegenheiten zu: er bestimmt insbesondere Wohnort und Wohnung".
§ 1628 (BGB): "Neben dem Vater hat während der Dauer der Ehe die Mutter das Recht und die Pflicht, für die Person des Kindes zu sorgen; zur Vertretung des Kindes ist sie nicht berechtigt. ... Bei einer Meinungsverschiedenheit zwischen den Eltern geht die Meinung des Vaters vor."
Vgl. Gabriele Müller-List (Bearb), Gleichberechtigung als Verfassungsauftrag. Eine Dokumentation zur Entstehung des Gleichberechtigungsgesetzes vom 18. Juni 1957, hg. von der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien (= Dokumente und Texte. Bd. 29), Düsseldorf 1996.
[22] ACDP, IV-003-001/2. Insbesondere die katholische Kirche gehörten in diesen Diskussion zu den vehementesten Befürwortern einer Beibehaltung des bisherigen Paragraphen 1628. Vgl. ausführlich hierzu: Lukas Rölli-Alkemper, Familie im Wiederaufbau. Katholizismus und bürgerliches Familienideal in der Bundesrepublik Deutschland 1945-1965, Paderborn 2000, bes. S. 536-581.
[23] Elisabeth Schwarzhaupt, in: Frau und Politik. Mitteilung der Vereinigung der Frauen der Christlich-Demokratischen Union 3 (1957), S. 4 f.


Die Autorin: promovierte Historikerin, zzt. tätig als Bildungsreiseveranstalterin, Bad Münstereifel