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Archivierung von Fraktionsschriftgut

Eine Arbeitssitzung des 51. Westfälischen Archivtages in Olpe 1999 befasste sich mit den Überlieferungsformen nichtamtlichen Schriftgutes. Dort wurde auf die vielschichtige Bedeutung der Unterlagen gesellschaftlicher Organisationen hingewiesen, auf die Kommunalarchive keine unmittelbare Zugriffsmöglichkeit haben. Als eine der in diesem Bereich wohl bedeutendsten Quellen wurde dabei auch das Schriftgut von (Rats-)Fraktionen in Kommunalarchiven thematisiert - eine Überlieferung, deren gesellschaftspolitische Relevanz sich gleichsam janusköpfig den Archiven geradezu aufdrängt. Denn zum einen bestehen an der grundsätzlichen Archivwürdigkeit dieser Überlieferungsschiene keine Zweifel. Der Einfluss der Fraktionen auf das öffentliche Leben und den politischen Willensbildungsprozess und ihre Mitwirkung bei den kommunalpolitischen Entscheidungen sind umfassend. Zum anderen erfüllt diese Überlieferung in vorbildlicher Weise gleichzeitig das in Archivsatzungen oftmals für die Übernahme ergänzender Dokumentationen zu den amtlichen Beständen festgelegte Kriterium des Sachzusammenhanges mit dem Registraturgut des Archivträgers. Eine direktere, unmittelbarere Verzahnung zwischen den Verwaltungsakten, hier insbesondere die Protokolle der Vertretungskörperschaften (Kreistage, Gemeinde- und Stadträte, Landschaftsversamlung) und deren Ausschüsse, und den Fraktionsakten ist kaum denkbar. Dabei ist auf das Beziehungsgeflecht zwischen Rats- und Verwaltungsmitgliedern zu verweisen, das dazu führt, dass politisch bedeutsame Verwaltungsvorlagen in aller Regel nicht ohne Vorabstimmung mit den Fraktionen bzw. deren führende Vertreter an die Vertretungskörperschaften gelangen  (Fussnote 1). Demzufolge fallen Vor-Entscheidungen über die Beratung und den Beschluss von Vorlagen oftmals in den nicht-öffentlichen Fraktionssitzungen  (Fussnote 2). Abgesehen von dieser wichtigen Dokumentation kommunaler Entscheidungsprozesse ist das Schriftgut geeignet, grundsätzlich die Arbeit der Fraktionen abzubilden und lokale Macht- und Parteistrukturen aufzuzeigen.

Diesen Gesichtspunkten folgend hat das Archiv LWL Anfang des Jahres die Vorstände und Geschäftsführungen der vier in der Landschaftsversammlung vertretenen Parteien mit dem Ziel angeschrieben, das abgeschlossene ältere Registraturgut dem Archiv als Depositum zu übergeben. Unter Hinweis auf die sinnvolle Ergänzung des amtlichen Schriftgutes durch das Registraturgut der Fraktionen wurde in dem Anschreiben insbesondere dargelegt, dass die Fraktionsunterlagen in ganz besonderer Weise Einblicke in die Arbeit der politischen Meinungsbildung und Entscheidungsfindung im Rahmen der regionalen Selbstverwaltung ermöglichen.

Während sich die Verhandlungen mit den Landschaftsverbands-Fraktionen CDU, SPD und FDP noch hinziehen, sind sie mit der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Landschaftsverband Westfalen-Lippe durch die Unterzeichnung eines Depositalvertrages Anfang Juni formal bereits abgeschlossen. Eine erste Aktenübernahme wird Ende September erfolgen.

Die offene und kooperative Zusammenarbeit zwischen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, insbesondere mit der Fraktionsgeschäftsführung, und dem Archiv LWL kann hierbei im Bereich der Bestandsbildung auch positive Auswirkungen auf die Kommunalarchive in Westfalen-Lippe haben. Die Fraktion hat bei den Gesprächen mit Vertretern des Westfälischen Archivamtes ein ausgeprägtes historisches Bewusstsein hinsichtlich der Bedeutung der eigenen Überlieferung entwickelt und erkannt, dass durch eine Archivierung ihres Schriftgutes die Überlieferung ihrer Fraktions- und Parteiarbeit dauerhaft gesichert wird und dadurch auch nachfolgende Generationen in die Lage versetzt werden, Arbeitsinhalte und Parteistrukturen nachzuvollziehen. In der Konsequenz dieser Einsicht hat die Fraktion aber nicht unmittelbar an den Grenzen der eigenen politischen Tätigkeit im Rahmen des Landschaftsverbandes Halt gemacht, sondern es kristallisierten sich schon während der Verhandlungen über den Abschluss eines Depositalvertrages Gedanken über die Möglichkeiten einer Ausweitung der Archivierung von historisch wertvollen Zeitdokumenten im Bereich der lokalen Verbände und Fraktionen der Partei.

Diese Überlegungen sind in einem Rundschreiben an ca. 420 bündnisgrüne Orts- und Kreisverbände sowie Rats- und Kreistagsfraktionen in Westfalen-Lippe gemündet. In diesem Rundschreiben vom 1. August 2000 mit dem Titel `Grüne Arbeit archivwürdig? Beitrag zur Archivierung und Überlieferung grüner Fraktions- und Parteiarbeit' wird auf die Relevanz der Quellensicherung hingewiesen und die Zusammenarbeit zwischen der Fraktion und dem Archiv LWL hinsichtlich der Überlieferungssicherung beschrieben, wobei auch die einzelnen Punkte des Depositalvertrages erläutert werden. Im vorletzten Abschnitt heißt es: Wir möchten dieses Vorgehen als Anregung und Empfehlung an alle Parteigliederungen und Fraktionen weiter geben. Wendet Euch an die kommunalen Archive, die es entweder in Eurer Gemeinde/Stadt oder zentral bei Eurem Kreis gibt. Wir sind gern bereit, Euch über Einzelheiten zu informieren bzw. den Kontakt zum Westfälischen Archivamt in Münster für vertiefende Informationen herzustellen.

Das Rundschreiben bietet einen hervorragenden Anlass für die Kommunalarchive, sich aktuell - sofern noch nicht im Rahmen der ergänzenden Dokumentation geschehen - um die Überlieferung der bündnisgrünen Verbände und Fraktionen zu kümmern und den Vorgang überdies als Ausgangspunkt für eine weitergehende Bearbeitung auch der anderen politischen Parteien bzw. Fraktionen zu nehmen. Im Interesse einer umfassenden und aussagekräftigen Überlieferung sollte diese Steilvorlage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Landschaftsverband Westfalen-Lippe genutzt werden. Die Überlieferung der Parteien - gerade auch auf lokaler Ebene - verdient im Rahmen der Überlieferung nichtamtlichen Schriftgutes eine bevorzugte Bearbeitung. Diese ist unabhängig von der oben geschilderten Wertigkeit auch bedingt durch die Tatsache, dass die Parteien einen öffentlichen Auftrag besitzen und gemäß Artikel 21 des Grundgesetzes an der politischen Willensbildung teilhaben. Aus dieser Warte betrachtet, korrespondiert eine Überlieferungsbildung auch mit den `archivischen Menschenrechten' auf Einsichtnahme in Archivalien amtlichen Ursprungs  (Fussnote3). Denn in einer demokratisch verfassten Gesellschaft sollte es für die interessierten Bürger und Bürgerinnen nach Ablauf der regulären Sperrfristen möglich sein, wenigstens retrospektiv Einsicht in die Entscheidungsprozesse der von der Bürgerschaft gewählten Mandatsträger, die sich meistens in den Vertretungskörperschaften als Mitglied von Fraktionen auf der Basis von Parteien und Wählergemeinschaften zusammenschließen, zu nehmen.

Fussnote 1: Vgl.  Uwe Andersen, Die Stellung der Gemeinden in Nordrhein-Westfalen, in: Kommunalpolitik und Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen, Hrsg. Uwe Andersen (Schriftenreihe Grundinformation Politik Heft 1, hrsg. von der Landeszentrale für politische Bildung Nordrhein-Westfalen), 2. erg. u. akt. Auflage, Düsseldorf 1989, hier S. 22 ff.
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Fussnote 2: Vgl. Uwe Winkler-Haupt, Gemeindeordnung und Politikfolgen. Eine vergleichende Untersuchung in vier Mittelstädten, München 1988 (Minerva Publikation, Innenpolitik in Theorie und Praxis, Bd. 12), hier v.a. S. 105 ff.
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Fussnote 3: Vgl. Klaus Oldenhage, Bemerkungen zum Bundesarchivgesetz, in: Der Archivar Jg. 41, 1988, H. 4, Sp. 488.
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AUGIAS-Biblio 7.0: ein Bibliotheksprogramm im Härtetest der Paderborner Bibliographie

Eine in personeller und finanzieller Sicht besondere Herausforderung für Kommunalarchive (und Stadt- bzw. Gemeindeverwaltungen) besteht darin, Archivgut nicht nur zu übernehmen, zu pflegen und zu bewahren, sondern es auch zu erforschen und zu veröffentlichen und damit der Verpflichtung zur Nutzbarmachung des Archivgutes in einem weiteren Sinn nachzukommen - und den potentiellen Benutzerkreis vom Fachhistoriker auf die allgemeine interessierte Öffentlichkeit zu erweitern. Das Stadtarchiv Paderborn nimmt diese Herausforderung mit einigem Erfolg an. Ein zwar sehr spezieller, gleichwohl wichtiger Bestandteil dieser Aufgabe ist die Bearbeitung und Veröffentlichung des Schrifttums über die Stadt Paderborn als ,,Paderborner Bibliographie". In der Reihe ,,Bibliographien zur Westfälischen Regionalgeschichte" des ,,Vereins für Geschichte an der Universität-GH Paderborn" sind bislang die Bände für die Berichtszeiträume 1578 bis 1945 sowie 1980 bis 1994 erschienen, der Band für 1946 bis 1979 mit ca. 13500 Einträgen und umfangreichen Registern ist im Erscheinen. Letzterer wurde zum ersten Mal mit Hilfe eines Datenbank-Programms erstellt, mit AUGIAS-Biblio 7.0. Es ist sicherlich keine Übertreibung zu sagen, dass in der insgesamt gut zweijährigen Bearbeitungszeit, in der AUGIAS-Biblio erheblich weiter entwickelt wurde, das Programm auf Herz und Nieren geprüft wurde. Das Ergebnis der Prüfung soll hier vorgestellt werden. Allerdings werden nicht alle Funktionen detailliert beschrieben werden; zum einen werden im Stadtarchiv Paderborn nicht alle Optionen, die AUGIAS-Biblio bietet, genutzt, sodass nicht über alle hinreichende Erfahrungen vorliegen, zum anderen übernimmt das begleitende Handbuch eine nahezu vollständige Funktionsdarstellung auf exakt 100 Seiten; eine Wiederholung ist hier überflüssig. Der Schwerpunkt der Darstellung wird somit auf den Funktionen liegen, die tatsächlich für die Bibliographie benutzt wurden - was allerdings für die meisten Optionen, die AUGIAS-Biblio bietet, der Fall ist.

Das entscheidende Kriterium, an dem AUGIAS-Biblio zu messen ist, ergibt sich aus dem Kriterium, an dem ein Archiv im Umgang mit dem Publikum zu messen ist: Benutzerfreundlichkeit. Hierbei zu unterscheiden sind Benutzer aus dem Archiv selbst, die mit dem Programm arbeiten und die Datenbanken verwalten, von externen Benutzern, die auf die Datenbanken zugreifen wollen: die Interessenlage ist mitunter verschieden. Benutzerfreundlich heißt ein DV-Programm, wenn es

a) über eine klare und verständliche Oberfläche verfügt, dadurch

b) einfach zu handhaben ist, um die angebotene Vielfalt der Gestaltungsmöglichkeiten und Optionen auch nutzen zu können, was freilich nicht genügt, ohne

c) funktionstüchtig zu sein. Funktionstüchtig heißt nicht nur, dass das Programm das auch wirklich kann, was es zu können vorgibt, sondern auch, dass es zu können vorgibt, was es leisten soll, nämlich schnell und gezielt Informationen zu liefern. Am häufigsten nachgefragt wird die Recherche-Möglichkeit nach Klassifikationen und nach Titelstichwörtern, und erwartet wird eine nach Möglichkeit ,,bereinigte", d.h. von unwichtigeren, gar doppelt aufgeführten Titeln befreite Liste. Eine mit geringem zusätzlichen Aufwand gedruckte Bibliographie zu erstellen, geordnet nach Klassifikationsgruppen und mit Registern, bleibt quasi ein Nebenprodukt.

An diesen Kriterien ist AUGIAS-Biblio, ist jedes Bibliotheksprogramm, das in einem Kommunalarchiv zum Einsatz kommen soll, zu messen.

Handhabung
AUGIAS-Biblio ist sowohl als ORACLE- als auch als ACCESS„-Version und demnächst auch als SQL-Version lieferbar. Das Stadtarchiv Paderborn nutzt die ACCESS-Version. Das Hauptmenu ist dem von AUGIAS-Archiv bzw. AUGIAS-Zwischenarchiv angeglichen, was besonders diejenigen Nutzer freuen wird, die bereits eins dieser Archiv-Programme kennen: Ihnen wird AUGIAS-Biblio gleich bekannt vorkommen, eine längere Einarbeitungsphase wird nicht nötig sein. Und sie wissen damit auch: AUGIAS-Biblio erfüllt die ersten beiden Kriterien uneingeschränkt. Es verfügt über eine klare und verständliche Oberfläche und ist damit einfach und, für neue AUGIAS-Nutzer wichtig, intuitiv zu handhaben: Die Schaltflächen bezeichnen ihre Funktion und erfüllen sie auch. Die einzige Bedingung, die ein Nutzer erfüllen muss, um sich im Programm zurechtzufinden, ist, lesen zu können.
Das Hauptmenü
Die AUGIAS-Biblio-Ausleihe liefert eine Übersicht nach ausgeliehenen Titeln und Mahnungen je Ausleiher. Allerdings wird die Ausleihe im Stadtarchiv Paderborn immer noch manuell und nicht mit AUGIAS-Biblio organisiert. Das liegt u.a. daran, dass AUGIAS-Biblio in diesem Punkt (noch) nicht funktioniert, was aber insoweit unproblematisch ist, da die Archivbibliothek, wie sicherlich auch andernorts, eine Präsenzbibliothek ist.

Hinter der Schaltfläche Organisation verbirgt sich die Userverwaltung, die die Benutzermöglichkeiten regelt, sowie der Schalter Setup. Im Setup ist es möglich, die Tabellenverbindung, d.h. die Verknüpfung zu der Datenbank, auf die in AUGIAS-Biblio zugegriffen werden soll, zu ändern. Diese Option war insbesondere in der Testphase äußerst nützlich, war es doch so möglich, neue Programm-Versionen zunächst mit lokalen Datenbanken zu testen, ohne die ,,richtige" Datenbank auf dem Server zu gefährden und andere AUGIAS-Biblio-Nutzer zu behindern. Schließlich ist in Organisation der Import/Export-Schalter hinterlegt. Mit ihm ist es möglich, Daten in die Datenbank hinein- oder einzelne Bestände herauszukopieren. Sinnvoll ist diese Option insbesondere für Archive, die an irgendeinem Datenaustausch beteiligt sind. In Paderborn wurde diese Funktion nur einmal benutzt, nämlich bei der Umstellung von AUGIAS-Biblio 5.2 auf AUGIAS-Biblio 7.0. Hierbei waren sowohl Export als auch Import der Daten nicht unproblematisch, allerdings lag der Grund hierfür eher in der Umstellung der ACCESS„-Versionen. AUGIAS-Biblio 5.2 basiert auf ACCESS„ 2.0, AUGIAS-Biblio 7.0 auf ACCESS 97. Mit dem ausgezeichneten AUGIAS-Support war aber das Problem schnell behoben.

Ebenfalls im Hauptmenu angesiedelt ist die umfangreiche Recherche-Funktion. Wie jeder gute OPAC unterscheidet auch AUGIAS-Biblio zwischen einer einfachen und einer erweiterten Recherche. Die einfache Recherche durchsucht alle Textfelder (oder genauer: die jeweiligen Tabellen aller Textfelder) nach einem eingegebenen Wort, aber nicht nach mehreren Wörtern. Eine Recherche nach mehreren Wörtern ist nur durch Verknüpfung möglich, was etwa bei Doppel„namen ohne Bindestrich (Schulte Kemminghaus) zu Problemen führt. In der erweiterten Recherche ist die Begrenzung auf einzelne Felder der Eingabemaske möglich: Titelfeld, Verfasser, Fußnoten usw. Derzeit nicht recherchierbar sind die Index-Begriffe und Zahlen; da dies aber in den AUGIAS-Archivprogrammen möglich ist, ist hier eine Besserung zu erwarten, jedenfalls unbedingt wünschenswert. Noch immer bereitet die Aufsatz-Recherche Probleme. Von Zeitschriften-Aufsätzen wird in der Ansicht des Rechercheergebnisses der Zeitschriftentitel nicht angezeigt (,,In: ..."), sodass der Fundort nur über die Signatur zu ermitteln ist; im Ausdruck steht dann zwar der Zeitschriftentitel, nicht aber der Jahrgang. So lässt sich ein gesuchter Aufsatz nur umständlich identifizieren.

In beiden Recherche-Funktionen sind Verknüpfungen mit den Booleschen Operatoren (UND, ODER, UND NICHT) möglich. Dass die Technik der Verknüpfung sich gegenüber früheren AUGIAS-Biblio-Versionen und gegenüber der üblichen Praxis (warum nur?) geändert worden ist, mag vielleicht den Anfänger freuen, ist aber für einen vor allem mit den AUGIAS-Produkten auch nur etwas Erfahrenen und auch nur etwas formal-logisch Geschulten gewöhnungsbedürftig. Dass die Verknüpfung mit UND zusammen mit UND NICHT (noch) nicht funktioniert (Fussnote 1), mag kaum jemand bemerken, da doppelte Verknüpfungen wohl kaum benutzt werden. Besonders hervorzuheben ist noch, dass die Recherche-Zeit wie auch die Zeit, um Tabellen wie das Look-up aufzubauen, im Vergleich zu früheren AUGIAS-Biblio-Versionen erheblich reduziert worden ist.

AUGIAS-Biblio bietet außerdem eine umfangreiche Ausgabe/Druck-Funktion. Hier eröffnen sich wiederum zahlreiche Optionen. Welche Art von Katalog gedruckt werden soll, mit oder ohne Klassifikationsgruppe, wie die Titel sortiert werden sollen, lässt sich durch einfaches Anklicken bestimmen. Sollen nur Teile der insgesamt in AUGIAS-Biblio erfassten Bestände gedruckt werden, können Suchkriterien eingeben werden. Wird diese Option gewählt, öffnet sich das Fenster der erweiterten Recherche, und die Begrenzung kann wie bekannt vorgenommen werden. Ein Katalog kann sowohl fortlaufend oder auf Karteikarten gedruckt werden. Drucken lässt sich entweder über ein in AUGIAS-Biblio vorinstalliertes Standardmodul oder mit Hilfe eines Layout-Assistenten, der für die Schnittstelle zwischen AUGIAS-Biblio und MS-WORD zuständig ist. Mit Hilfe des Assistenten wird der zu druckende Katalog als Word-Datei ausgegeben, die entsprechend bearbeitet werden kann. Aber schon zuvor eröffnen sich dem Nutzer vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten, da er die Layout-Vorlage selbst verändern und so bestimmen kann, welche der Eingabe-Felder wie ausgedruckt werden sollen. Dass AUGIAS allein für den Layout-Assistenten ein eigenes Handbuch mit einem Umfang von 47 Seiten liefert, zeigt den komplizierten Umfang der Wahlmöglichkeiten. Der Layout-Assistent garantiert somit, dass ein ,,bereinigter" Listenausdruck möglich ist, oben genannt unter Kriterium c. Allein bei Aufsätzen erhält der Nutzer keine Gestaltungmöglichkeiten, da alle Aufsatz-Felder in einem Druckfeld zusammengefasst sind. Doch sollte es besser dem Nutzer überlassen bleiben, ob er beispielsweise den Herausgeber einer Zeitschrift bei jedem Aufsatz angeben möchte (wie in AUGIAS-Biblio vorgesehen) oder nicht. Je nach Kontext kann beides sinnvoll sein. Da diese Gestaltungsmöglichkeit fehlt, ist unter Umständen eine langwierige Nachbearbeitung des ausgegebenen Kataloges notwendig, wie es bei der Paderborner Bibliographie der Fall war. Auch gibt es in der Ausgabe/Druck-Funktion noch kleinere technische Probleme. So lassen sich Findmittel über Ausgabe/Druck (noch) nicht bearbeiten. Da dies aber über WORD möglich ist, ist auch dies kein gravierendes Problem. Die Option der frei definierten Sortierung funktioniert nicht in Verbindung mit nach Booleschen Operatoren verknüpften Suchkriterien. Für den Ausdruck auf Karteikarten ist die Option ,,In Titelaufnahme markierte" vorgesehen. Doch diese funktioniert nicht, wurde aber bislang bei AUGIAS nie beanstandet, was wohl bedeutet, dass heutige AUGIAS-Biblio-Nutzer keine Karteikataloge mehr führen und damit im 21. Jahrhundert angekommen sind. Schließlich wird bei der Ausgabe über das Standardmodul bei Zeitschriftenaufsätzen keine Bandangabe mitgedruckt, was das Finden des Aufsatzes unmöglich macht.

Das Eingabemenü
Die Schaltfläche Eingaben eröffnet erneut den Weg zu verschiedenen Optionen. Die Übersichten geben einen Überblick u.a. über die Bestände, die Akzessionen und, für uns am wichtigsten, die Aufsätze. Bei letzteren wird an dieser Stelle nicht mehr unterschieden, ob es sich um Zeitschriften- oder Buchaufsätze handelt, solange die Titel überhaupt als Aufsätze aufgenommen worden sind.

Jedem Bestand kann eine Klassifikation zugeordnet werden, eine Klassifikation freilich für mehrere Bestände. Die Klassifikation wird hier definiert. Das Stadtarchiv Paderborn arbeitet derzeit mit drei Klassifikationen für vier Bestände; allerdings sind die Klassifikationen eng aneinander angelehnt, sodass ein schnelles Zurechtfinden möglich ist. Soll die Klassifikation überarbeitet und z.B. eine Klassifikationsgruppe umbenannt werden, ist dies in AUGIAS-Biblio problemlos möglich, da automatisch die Veränderung der Klassifikation auch in den Datensätzen selbst übernommen wird. Bei einer Bearbeitungszeit für die Paderborner Bibliographie 1946 bis 1979 von gut zwei Jahren war dies häufiger notwendig und immer problemlos möglich.

An dieser Stelle des Programms bietet sich die Möglichkeit, Literatur-Bestellungen zu notieren. Die Bestelldaten können bei Lieferung automatisch in die Eingabemaske übernommen, importiert werden.

Das Titelaufnahme-Menü
Damit sind wir neben der Ausgabe/Druck- und Recherche-Funktion bei der dritten wichtigen Option angelangt: der Titelaufnahme. Sinnvoller Weise unterscheidet AUGIAS-Biblio zwischen der Aufnahme von einbändigen (Monographien), mehrbändigen Werken (Fussnote 2) und Zeitschriften. Sinnvoll ist die Unterscheidung zwischen Monographien und Zeitschriften vor allem deshalb, da in Kommunalarchiven Heimatzeitschriften ausgewertet werden (sollten), die häufig einen sehr ähnlichen Titel führen. Um Verwechselungen zu vermeiden ist es sinnvoll, dass die Aufsätze unter der vollständigen Zeitschriftenaufnahme aufgenommen (aber eben nicht unbedingt mit allen Angaben ausgedruckt) werden. Die Aufnahme solcher unselbstständiger Schriften stellt offenbar eine besondere technische Herausforderung dar; doch darf AUGIAS-Biblio in der Version 7.0 durchaus für sich in Anspruch nehmen, auch dieser Herausforderung gerecht zu werden. Den Aufsätzen kommt in der Regionalforschung eine wichtige Bedeutung zu, da sie etwa in der Paderborner Bibliographie einen Anteil von ca. 2/3 gegenüber 1/3 Monographien ausmachen und umfangreicher über das Thema ,,Paderborn" handeln als die meisten Monographien, in denen ,,Paderborn" oft nur einen Teilaspekt bildet. In anderen Regionen dürfte das Verhältnis ähnlich sein.

Das Aufsatzformular übernimmt automatisch einige Eintragungen aus der Zeitschriftenaufnahme wie Signatur und Zeitschriften-Titel. Wie bei den Monographien kann jeder Aufsatz mehreren Klassifikationsgruppen zugeordnet sowie indiziert werden (Fussnote 3). Dass das Fußnoten- und das Bandfeld gegenüber früheren AUGIAS-Biblio-Versionen verkleinert worden und dadurch gelegentlich zu klein geworden sind, soll demnächst behoben werden.

Das Monographieformular ist ganz ähnlich aufgebaut, verfügt aber über zusätzliche Felder. Eine Orientierung an den RAK-WB ist offensichtlich, wenngleich die Eingabe ein wenig abgespeckt, aber dadurch benutzerfreundlicher gestaltet ist. In das Sortierfeld wird automatisch der Verfasser bzw. der Hauptsachtitel übernommen, kann aber beliebig überschrieben werden. Mittlerweile ist es auch möglich, ein Sortierkriterium je Klassifikationsgruppe anzugeben, sodass etwa ein Titel, der sowohl unter einer Sachklassifikation und also Verfasser sortiert, aber auch unter einer Personenklassifikation und also unter der behandelten Person sortiert werden soll, nicht mehr doppelt aufgenommen werden muss. Eintragungen in das Feld ,,Wert" werden automatisch in die Berechnung des Bestandetats (unter Übersichten — Bestände — Bestandsetat) übernommen (was freilich noch technische Probleme birgt); unter ,,Ausleihe" wird das bereits bekannte Ausleihformular geöffnet. Alles in allem zeigt sich AUGIAS-Biblio auch hier benutzerfreundlich und komfortabel.

Das Indizieren
Ein bedeutender Fortschritt von AUGIAS-Biblio 7.0 gegenüber den älteren Versionen ist die Möglichkeit der Indizierung. Hierfür kann die Art des Registers aus Vorgaben gewählt, können aber auch neue Registertypen problemlos definiert werden. Ein Titel kann mehrfach indiziert werden, indem ein Wort markiert und auf ,,Index" geklickt wird. Soll ein nicht genanntes Wort als Register-Begriff aufgenommen werden, ist auch dies problemlos möglich. Alle bereits vergebenen Register-Begriffe eines Titels können angezeigt werden. Einen besonderen Service beim Indizieren bietet die so genannte ,,Namensautomatik". Kommt z.B. ,,Karl Schoppe" in einem Titel vor und soll ins Register aufgenommen werden, können die Wörter markiert, ,,Index" angeklickt und mit dem Schalter ,,N" die Wörter umgedreht werden: aus ,,Karl Schoppe" wird so ,,Schoppe, Karl". In einem gut gestalteten Layout werden die Register am Ende des Kataloges angehängt.

Gleichwohl gibt es auch beim Indizieren kleinere Mängel. So ist zuweilen Vorsicht geboten, da gelegentlich ein anderer Registertyp automatisch gewählt wird, der vom Nutzer nicht gewünscht wird. Dies gilt insbesondere für das ,,Sachregister". Umlaute werden im Register wie im Duden sortiert: ä = a usw., anders jedoch im Katalog, in dem vernünftigerweise ä als ae usw. sortiert wird. Die Register können sowohl seiten- als auch nummernorientiert angelegt werden, was in etwa dem Unterschied zwischen zufrieden und glücklich entspricht. Denn seitenorientierte Register sind besser als kein Register und lassen sich im Nachhinein automatisch neu erstellen (zusammen mit dem Inhaltsverzeichnis), nummernorientierte jedoch leider nicht. Nummernorientierte Register zeigen aber in einem Katalog eine eindeutige Fundstelle eines gesuchten Titels an, was insbesondere in einer umfangreichen Bibliographie eine wichtige Zeitersparnis einbringt und die Nerven schont. Damit steht ein Bearbeiter vor dem Entscheidungsproblem, ggf. umfangreiche manuelle Änderungen im Katalog auch in den nummernorientierten Registern vornehmen zu müssen oder dem Benutzer zusätzliches Suchen aufzubürden. Zudem werden Titel, die verschiedenen Klassifikationsgruppen zugeordnet sind, im Register als verschieden angezeigt, was im Nachhinein auch manuell nicht mehr zu ändern ist. So findet ein Benutzer der Paderborner Bibliographie etwa einen Titel wie ,,Bischof Meinwerk und seine mittelalterlichen Bauten" sowohl in der Gruppe ,,Baugeschichte" als auch ,,Mittelalter". Im Register unter ,,Meinwerk, Bauten" findet er zwei Nummern, die aber denselben Titel bezeichnen. Hier wäre es sicher hilfreich, wenn die Titelidentität mit einem Gleichheitszeichen zwischen den Nummern angezeigt würde.

Als ein schwerwiegendes und zeitraubendes Manko von AUGIAS-Biblio 7.0 hat sich gezeigt, dass eine Anzeige aller bisher vergebenen Registerbegriffe aller Titel nicht möglich ist. Dies hatte im Falle der Paderborner Bibliographie eine langwierige Nachbearbeitung der Register zur Folge, da es unmöglich ist, bei einem Katalog von ca. 13500 Titeln den Überblick über die Registerbegriffe zu behalten. Das beginnt mit der Schreibweise der Begriffe (mit oder ohne Bindestrich) und endet mit einer einheitlichen Bezeichnung für den gleichen Gegenstand (Diözese, Bistum, Erzdiözese oder Erzbistum). Hier ist unbedingt Nachbesserung erforderlich. Mit einer Anzeige aller Registerbegriffe sollte es dann auch möglich sein, einen Begriff zu ändern, sodass automatisch alle entsprechenden Eintragungen geändert werden, wie es bei den Klassifikationsgruppen (Eingaben — Klassifikationen) auch möglich ist. Dass die Registerbegriffe recherchierbar sein müssen, damit der Katalog auch als OPAC angeboten werden kann, versteht sich von selbst.

Bleiben noch zwei Hinweise, die die Beurteilung abrunden. Zum einen ist es von zahlreichen Stellen im Programm aus möglich, so genannte ,,Look up"-Tabellen zu erstellen, in denen schnell und gezielt nach einzelnen Titeln in so gut wie allen Eingabe-Feldern gesucht werden kann. Diese Funktion wird vor allem bei der Suche nach bekannten Titeln genutzt. Gleichwohl hakt es auch hier an manchen Stellen. So ist es z.B. zwar möglich, von einem beliebigen Feld der Eingabemaske in das Look up zu wechseln, doch funktioniert die Suche in den Look up-Spalten nur, wenn der Wechsel vom Bestandsfeld aus vorgenommen worden ist. Ebenso machen Zeichen wie eckige Klammern, Apostroph usw. im Suchtext eine Recherche im Look up unmöglich.

Zum anderen ist AUGIAS-Biblio 7.0 gegenüber älteren Versionen erheblich schneller etwa beim Aufbau der Look up-Tabellen und bei der Recherche, sodass sich ein zwischenzeitlich geforderter Unterbrechungsschalter bei der Recherche oder den Look up-Tabellen erübrigt hat.

Abschließend noch ein Wort zum Handbuch. Das Handbuch ist übersichtlich und verständlich gestaltet, was in dem Metier ja nicht selbstverständlich ist. Nicht alle Funktionen werden beschrieben; dies betrifft aber eher weitergehende Anwendungen. Auch haben sich kleinere Fehler eingeschlichen, was u.a. mit der ständigen Weiterentwicklung von AUGIAS-Biblio zu tun hat, etwa wenn auf S. 49 noch vom ,,Blitz"-Schalter die Rede ist, der mittlerweile ,,Index" heißt oder wenn auf S. 78 das obere neue Anwendungsbeispiel nur unvollständig beschrieben ist.

Zusammenfassende Beurteilung
Erfüllt AUGIAS-Biblio 7.0 die eingangs genannten Kriterien? Zum überwiegenden Teil. AUGIAS-Biblio 7.0

a) verfügt über eine klare und verständliche Oberfläche und ist
b) einfach in den vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten zu handhaben sowie
c) funktionstüchtig, da es schnell und gezielt Informationen liefern kann, auch in Form einer ,,bereinigten" Druckausgabe.

Nur beim Kriterium c sind Einschränkungen anzumerken. Die meisten betreffen allerdings weitergehende Funktionen, die nicht allzu häufig zur Anwendung kommen und zudem möglicherweise bereits bei Druck„legung dieses Artikels behoben sein werden; ins„gesamt war es auch mit einiger Phantasie möglich, Fehler in AUGIAS-Biblio zu umgehen. Um die Funktionstüchtigkeit nicht unnötig zu strapazieren, sei dem Nutzer empfohlen, regelmäßig und nicht zu selten die Datenbanken zu reparieren und zu komprimieren. Die Programmgruppen hierfür sind im Lieferumfang von AUGIAS-Biblio enthalten. Eine wesentliche Nachbesserung und damit Weiterentwicklung von AUGIAS-Bib„lio ist freilich vor allem bei der Erstellung von und Recherche in den Registern notwendig.

Damit ist das Konzept der AUGIAS-Biblio-Autoren umgesetzt, ein Bibliotheksprogramm zu entwickeln, das benutzerfreundlich und den Bedürfnissen kleinerer Bibliotheken, etwa in Kommunalarchiven, angepasst ist.

Fussnote 1: Analog zum unteren Beipiel auf S. 78 des Handbuches wurde zum Testen ein Verfasser eingegeben, dann ein Titel mit UND verknüpft sowie ein Bestand mit UND NICHT aus der Recherche ausgeschlossen. Als Folge wurden sowohl die UND- als auch die UND NICHT-Verknüpfung in einem Feld rot hinterlegt und somit aus der Recherche ausgeschlossen. Nebenbei bemerkt ist das obere Beispiel auf derselben Seite des Handbuches unvollständig.
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Fussnote 2: Das Formular für die Aufnahme mehrbändiger Werke wird im Stadtarchiv Paderborn nicht genutzt, da es hiermit Probleme bei der Recherche gab; denn der Nutzer müsste bereits wissen, dass es sich bei dem Gesuchten um ein mehrbändiges Werk handelt. So wurde entschieden, jeden Band eines mehrbändigen Werkes als Monographie aufzunehmen. Dies widerspricht zwar den RAK-WB, ist aber benutzerfreundlicher. Wie auch die Autoren von AUGIAS-Biblio bei der manchmal notwendigen Entscheidung zwischen RAK-Reinheitsgebot oder Benutzerfreundlichkeit glücklicherweise zugunsten Letzterer votiert haben.
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Fussnote 3: Und auch verschlagwortet werden. Allerdings werden im Stadtarchiv Paderborn die Titel nicht verschlagwortet, da die Verschlagwortung wieder eigenen Regeln unterliegt und sehr aufwendig ist. Stattdessen gibt es für die grobe Orientierung die Klassifikation, für die feine Orientierung die Indizes.
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Andreas Gaidt
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Der Freiherr vom Stein und Cappenberg

Neue Ausstellung auf Schloß Cappenberg
Am 10. Mai 2000 fand im festlichen Rahmen der gefüllten Ränge des Theaters von Schloß Cappenberg die Eröffnung einer neuen Dauerausstellung, ,,Der Freiherr vom Stein und Cappenberg", statt. Aus diesem Anlaß ging Festredner Prof. Hans Tietmeyer, Bundesbankpräsident i.R., in seinem Vortrag der Frage der Aktualität der politischen Ideen des Freiherrn vom Stein nach.

Die Ausstellung ist in Zusammenarbeit zwischen dem Westfälischen Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte und dem Westfälischen Archivamt entstanden. Sie präsentiert die Geschichte von Schloß Cappenberg und wendet sich insbesondere seinem berühmten Besitzer aus dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts zu, dem Freiherrn vom und zum Stein.

Die Geschichte Cappenbergs ist neben Stein mit dem Namen„ eines zweiten Reformers verbunden, dem Norberts„ von Xanten, dem Gründer des Prä„monstra„tenser„ordens. Mit ihm setzt die Ausstellung ein. 1122 übereignete Graf Gottfried von Cappenberg, dessen Familie enge Beziehungen zum staufischen Kaiserhaus pflegte, Norbert seine Stammburg. Cappenberg wurde damit das erste Kloster des Prä„monstra„tenser„ordens im deutschsprachigen Raum; von hier aus vollzog sich die weitere Ausbreitung des Ordens in Deutschland, in der Ausstellung veranschaulicht u. a. durch Kartenmaterial und Urkunden aus dem Cappenberger Stiftsarchiv.

Vorgestellt werden auch Ergebnisse der archäologischen Grabungen, die in Cappenberg - zuletzt Anfang der 1990er Jahre - durchgeführt wurden und deren Funde bis in die Jungsteinzeit zurückreichen.

Die Ausstellung begleitet das Prämonstratenserstift Cappenberg auf seinem Weg zur Adelsexklusivität, die sich im 14. Jahrhundert durchsetzte. Erläutert werden die große Bedeutung, die Cappenberg und andere Stifter, Klöster und die Domkapitel für die Versorgung des westfälischen Adels einnahmen, und das Verfahren der Ahnenprobe, mit dem die Adelsexklusivität aufrechterhalten wurde.

Einen Eindruck von der Adelskultur des Barock und dem Selbstbewußtsein des westfälischen Adels gewähren hervorragende Porträts aus den Beständen des Landesmuseums.

Dem Leben und Werk des Freiherrn vom Stein im Kontext seiner Zeit ist der weitaus umfangreichste Teil der Exposition gewidmet. Neben Objekten aus den Beständen des Landesmuseums und persönlichen Gegenständen Steins aus Privatbesitz bilden zahlreiche Schriftstücke aus dem Nachlaß Steins, der sich — ebenfalls in Privatbesitz — im Stein-Archiv auf Schloß Cappenberg befindet und durch das Westfälische Archivamt betreut wird, einen wichtigen Bestandteil der Ausstellung.

1757 in einer alten nassauischen reichsritterlichen Familie geboren, trat Stein nach dem Studium in Göttingen nicht, wie vorgesehen, in eine der alten Reichsinstitutionen ein, sondern begann seine Karriere im preußischen Staatsdienst. Friedrich der Große persönlich noch vollzog nach anfänglicher Weigerung 1780 die Anstellung des jungen Stein in das Bergwerks- und Hüttendepartement. 1784 nach Westfalen entsandt, nahm Stein einen raschen Aufstieg innerhalb der westfälischen Verwaltung und war seit 1796 Präsident sämtlicher Kammern der rheinisch-westfälischen Provinzen.

Steins Lebensweg wurde wesentlich mitbestimmt von den epochemachenden Umwälzungen im Gefolge der Französischen Revolution. Als im Krieg gegen das revolutionäre Frankreich bewährter Verwaltungsmann wurde ihm 1802/04 die Aufgabe zuteil, die Preußen zugefallenen säkularisierten Bistümer Münster und Paderborn in den preußischen Staat zu integrieren. Besondere Aufmerksamkeit schenkt die Ausstellung an diesem Punkt der ersten direkten Berührung Steins mit Cappenberg, das zu den Preußen zugesprochenen Gebieten zählte und Domäne wurde.

Mit seiner Berufung nach Berlin 1804 begann Steins Wirken als preußischer Staatsminister und Reformer. Das breite Spektrum der Reformbemühungen in all seinen Facetten, von der Reform der obersten Staatsbehörden über die Bauernbefreiung, die Städteordnung, die Militär- und Bildungsreform wird ebenso vorgestellt wie die Mitstreiter Steins an dem Reformwerk. Ein interessantes Stück aus dem Stein-Archiv illustriert die erste Entlassung Steins durch Friedrich Wilhelm III. und Steins starken Charakter: Auf der Entlassungs„drohung vom 3. Januar 1807, in der ihm der preußische König vorgeworfen hatte, ,,ein widerspenstiger, trotziger, hartnäckiger und ungehorsamer Staatsdiener" zu sein, schrieb Stein noch am selben Tag das Konzept seines Entlassungsgesuchs, das die Vorwürfe des Königs ironisch aufgriff.

Steins zweiter Entlassung 1808, der Ächtung durch Napo„leon und der Flucht nach Böhmen gilt der folgende Teil der Ausstellung, in der unter anderem Steins Spazierstock, der ihm durch eine versteckte Klinge zugleich als Verteidigungswaffe dienen konnte, und Steins Reisesessel gezeigt 
werden.

Steins Tätigkeit im Dienst des russischen Zaren ab 1812 und seine Rolle während der Befreiungskriege werden im Gesamtkontext dieser Epoche anschaulich gemacht. Mit seinen Vorstellungen von der Neuordnung Deutschlands scheiterte Stein; sein Einfluß auf dem Wiener Kongreß blieb gering. Sein Tagebuch der Kongreßzeit ist in der Ausstellung zu besichtigen.

1816 erwarb Stein Cappenberg vom preußischen Staat; hier verbrachte er seinen letzten Lebensabschnitt. Nach seinem Rückzug aus dem Staatsdienst engagierte sich Stein für die Interessen des westfälischen Adels und die Einführung von Pro„vinzialver„fassungen. 1826 wurde er erster Landtagsmarschall des Westfälischen Provinziallandtages. Ganz besonders wandte er sich in dieser Lebensphase der Erforschung der deutschen Geschichte zu und gründete die ,,Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde", um eine Sammlung der Quellen zur Geschichte des deutschen Mittelalters zu schaffen. Daraus gingen die ,,Monumenta Germaniae historica" hervor, die heute noch herausgegeben werden.

Das heutige Erscheinungsbild von Schloß Cappenberg wurde nachhaltig durch Stein geprägt, der zahlreiche bauliche Veränderungen vornahm und den Park nach seinen Vorstellungen anlegen ließ. Am 29. Juni 1831 starb Stein auf Cappenberg.

,,Der Freiherr vom Stein und Cappenberg" ist eine ständige Ausstellung, die kontinuierlich ausgebaut werden soll und ihr Aussehen noch weiter verändern wird. Ihren„ eigenen Reiz gewinnt sie durch die unmittelbare Verbindung von ausgestellten Objekten, Bildern und Archivalien zum Ort des historischen Geschehens. So bietet sich dem Besucher nach wie vor der gleiche weite Blick über das Lippetal hinweg bis zu den Gebirgszügen des Sauerlandes, von dem einst Stein in einem Brief schwärmte, der in der Ausstellung nachgelesen werden kann.

(Öffnungszeiten: Di—So, 10—17 Uhr)

Scha
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Präsident des Bundesarchivs besucht das Westfälische Archivamt

Am 16. August besuchte der neue Präsident des Bundesarchivs Professor Dr. Hartmut Weber das Westfälische Archivamt in Münster. Obgleich der Besuch natürlich in erster Linie dem Leiter des WAA Dr. Norbert Reimann in seiner Funktion als Vorsitzender des Vereins deutscher Archivare galt und der Erörterung von grundsätzlichen Fragen des deutschen und internationalen Archivwesens diente, nutzte Herr Professor Dr. Weber die Gelegenheit zu einer eingehenden Besichtigung des Westfälisches Archivamtes. Besonders die technischen Einrichtungen und das Konzept der natürlichen Klimatisierung des Magazingebäudes fanden sein Interesse.

Dr. Reimann erläuterte Herrn Prof. Weber die Pläne des Landschaftsverbandes, im kommenden Jahr mit Maßnahmen zur Papierentsäuerung im Archiv des LWL zu beginnen und ähnliche Projekte auch im kommunalen Bereich künftig finanziell und fachlich zu unterstützen. In diesen Fragen besteht im übrigen seit fast zehn Jahren eine enge Zusammenarbeit mit Herrn Professor Weber. Dieser hatte bereits 1991 in seiner damaligen Funktion als verantwortlicher Referent für die Bestandserhaltung bei der Landesarchivdirektion Baden-Württemberg in Münster einen Vortrag zum Thema ,,Erhalten von Archivgut - Herausforderung und Chancen" gehalten, mit dem seinerzeit die Ausstellung ,,Konservieren und Restaurieren von Archiv- und Bibliotheksgut" im Landeshaus in Münster eröffnet worden war.*

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*,€Vgl. Archivpflege in Westfalen und Lippe Heft 33, April 1991.

Rei
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Archivarin der Provinz Westflandern zum Erfahrungsaustausch beim Westfälischen Archivamt

Vom 5. bis 7. Juli 2000 war Frau Isabelle Verheire, Archi„varin bei der Archivverwaltung der Provinz Westflandern, zu Gast beim Westfälischen Archivamt. Frau Verheire wurde zum 1. Oktober 1999 von ihrer Verwaltung mit der Aufgabe betraut, eine Archivpflegeeinrichtung zur Betreuung nichtstaatlicher Archive in Westflandern aufzubauen. Ihr Besuch in Münster sollte daher über die vorhandene Literatur hinaus praktische Einblicke in Strukturen und Arbeitsweise des Westfälischen Archivamtes vermitteln. Neben ausführlichen Gesprächen im Archivamt, die in erster Linie dazu dienten, die jeweiligen systemischen Gemeinsam„keiten, aber auch Unterschiede herauszustellen, wurde Frau Verheire die Möglichkeit geboten, verschiedene Archive in Westfalen-Lippe kennenzulernen. So konnten, dank der Kooperationsbereitschaft der Kolleginnen und Kollegen vor Ort, die Archive der Städte Minden und Bad Salzuflen sowie das Landeskirchliche Archiv„ in Bielefeld besichtigt werden. In den anschließenden Gesprächen wurden Fragen insbesondere zu den Themenkomplexen der organisatorischen Einbindung, Ausstattung und Finanzierung erörtert.

Zum Programm gehörte auch ein Besuch beim Vorsitzenden der Vereinigten Westfälischen Adelsarchive e.V., Freiherr von und zu Brenken auf Schloss Erpernburg bei Büren. Hier konnte Frau Verheire das westfälische System der Adelsarchivpflege kennenlernen. Vergleichbare Ansätze gibt es bislang in Flandern noch nicht. Vielmehr ist dort die archivfachliche Betreuung von Privatarchiven noch weitgehend vom Zufall örtlicher Gegebenheiten abhängig.

Der archivfachliche Austausch zwischen Westfalen und Westflandern ist insbesondere auch vor dem Hintergrund des nunmehr 40 Jahre währenden Kulturaustausches zwischen dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe und Westflandern zu begrüßen und findet hoffentlich in der Zukunft eine Fortsetzung in einer weiteren grenzüberschreitenden Fachdiskussion.

Tie
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Fernstudienteilnehmer der FH Potsdam im Westfälischen Archivamt

Seit 1999 führt die Fachhochschule Potsdam - Fachbereich Archiv, Bibliothek, Dokumentation - einen Fernstudiengang zum Diplomarchivar/zur Diplomarchivarin (FH) durch.

Das erste Kursangebot richtete sich an Interessenten, die über fachliche Vorkenntnisse verfügen und bereits in Archiven arbeiten, es umfaßt daher als berufsbegleitendes Fernstudium 4 Semester und besteht aus etwa 12 Modulen, d. h. Unterrichtsblöcken, die von einzelnen Dozenten im Verlauf von Präsenzveranstaltungen ein- und ausgeführt werden.

Eine dieser mehrtägigen Präsenzveranstaltungen fand am 19. und 20. Juni 2000 im Westfälischen Archivamt statt. Anlaß dafür war, daß das Westfälische Archivamt die Einführung eines solchen Fernstudienganges, der mit einem Fachhochschuldiplom beendet wird, von den ersten Überlegungen an gefördert hat und auch praktisch fördert, was nicht zuletzt dadurch deutlich wird, daß die Module ,Kommunale Archive' von Herrn Dr. Reimann und ,Archivtechnik' vom Berichterstatter übernommen wurden.

Die Veranstaltung bot den fast 30 Teilnehmern, davon weit mehr als ein Drittel aus westfälisch-lippischen Archiven, besonders die Möglichkeit, Probleme des Archivbaus, der Archivbenutzung wie der Konservierung und Restaurierung im Neubau des Westfälischen Archivamt und in den Werkstätten am praktischen Beispiel kennenzulernen und zu diskutieren.

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Seminarreihe für die Fachlehrer an den Berufsschulen in Nordrhein-Westfalen

Auf Anregung des Berufsbildungsausschusses, der in seiner Sitzung am 16. Februar 2000 unter anderem die Situation an den Berufsschulen Nordrhein-Westfalens thematisiert hatte, organisiert das Westfälische Archivamt in Zusammenarbeit mit dem Rheinischen Archiv- und Museumsamt eine Reihe von Fortbildungsveranstaltungen für die Fachlehrer, die in dem Ausbildungsberuf ,,Fachangestellte für Medien- und Informationsdienste" den Fachkundeunterricht erteilen.

Die erste Veranstaltung der geplanten Fortbildungsreihe fand am 11. April dieses Jahres statt und stand unter dem Thema ,,Einführung in das Archivwesen". Teilnehmer an diesem Seminar waren Fachlehrer der Berufsschulen Dortmund, Düsseldorf, Essen und Köln. Nach einer offiziellen Begrüßung durch den Leiter des Westfälischen Archivamtes, Herrn Dr. Reimann setzten Herr Kießling und Frau Nimz M. A. das Programm des Seminars fort. Inhalte der Fortbildung waren u. a. die Archivorganisation in der Bundesrepublik Deutschland, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede des Archiv- und Bibliothekswesens und die Probleme und Aufgaben kommunaler Archive. In der Abschlussdiskussion wurden gemeinsam mit den Berufsschulen weitere mögliche Fortbildungsthemen eruiert.

Das zweite Fortbildungsseminar, welches vom 29. - 30. Juni stattfand, widmete sich dem Thema ,,Einführung in die Erschließung von Archivgut". Diese zweitägige Veranstaltung gliederte sich in einen theoretischen und einen praktischen Teil. Zunächst erläuterte Herr Kießling den Weg vom Registraturgut zum Archivgut und anschließend gab Frau Nimz M. A. eine erste Einführung in die Erschließung von Archivgut und eine Übersicht über die Findbuchtypologie. Die Teilnehmer erhielten dabei umfangreiche Materialien zur weiteren Verwendung. Der praktische Teil umfasste Erschließungsübungen an einem Bestand des Archivs des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe. Die angefertigten Titelaufnahmen wurden anschließend mit dem Archivprogramm ,,Augias" erfasst. Dieser Seminarteil wurde von Frau Tiemann, Frau Günther und Frau Raschke begleitet. Im Abschlussgespräch wurden Themen für weitere Informationsveranstaltungen gesammelt, dabei gaben die Fachlehrer ihrem Wunsch Ausdruck, an einem Seminar zum Themenkomplex ,,Einführung in die Bewertung" teilzunehmen.

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Das Archiv, der unbekannte Nachbar — Tag der offenen Tür im Westfälischen Archivamt —

Im Mittelpunkt des Tages der offenen Tür für die Beschäftigten der Westfälischen Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Münster, auf dessen Gelände das Westfälische Archivamt sich befindet, stand die Vorstellung seiner Aufgaben, Tätigkeiten und Ziele.

Am 14. September 2000 war es soweit, in der Zeit von 10:00 bis 17:00 Uhr hatte das Westfälische Archivamt seine Türen geöffnet. Jeweils um 11:00 und 14:30 Uhr wurden die Besucher vom Leiter des Westfälischen Archivamtes, Herrn Dr. Norbert Reimann, begrüßt. Zu Beginn berichtete Herr Kießling gleichermaßen über die Aufgaben der Archive sowie über die Geschichte des Archivgebäudes und erläuterte den Weg vom ehemaligen Krankengebäude bis hin zum modernen Archivzweckbau. Viele der Besucher nutzten die Möglichkeit und schlossen sich Herrn Kießling und Herrn Höötmann zu einem Rundgang durch unser Haus an. Die Chance, gezielte Fragen an die Mitarbeiter des Westfälischen Archivamtes zu stellen, wurde gern in Anspruch genommen. Neben einer kleinen Ausstellung zur Geschichte des Hauses und den Publikationen des Archivamtes, konnte auch ein Modell, das mithilfe von Archivkartons die Struktur und die Aufgaben des Archivamtes darstellte, bestaunt werden.

Der Tag der offenen Tür, dessen Organisation und technische Durchführung den Auszubildenden Vanessa Bulgrin, Roswitha Kullmann und Michael Peren sowie der Praktikantin Anke Wollenweber unter der Leitung von Herrn Kießling oblag, lockte rund 60 Besucher in unser Haus.
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Zwangsarbeit in der Diakonie — Fachtagung in Münster

Am 11. September 2000 fand im Diakonissenmutterhaus Münster eine Fachtagung mit bundesweiter Resonanz zum Thema ,,Zwangsarbeit in der Diakonie — Quellen und Forschungsmöglichkeiten" statt. Organisiert wurde dieser Erfahrungsaustausch vom Archiv des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche von Westfalen in Münster.

Ziel der Aussprache war es, im kollegialen Austausch Recherchemöglichkeiten zu besprechen, methodische Probleme zu reflektieren, die ersten Zwischenberichte vorzustellen und ein institutionalisiertes Netzwerk zur Förderung von Studien über Zwangsarbeit in Diakonie und Kirche aufzubauen. Während die Stadtarchive vor allem unter dem Druck der Anfragen Betroffener stehen, werden die Kirchen eher durch einen diffusen politisch-moralischen Erwartungsdruck herausgefordert. In seinem Grußwort ermunterte Pfarrer Günther Barenhoff, Vorsitzender Geschäftsführer des Diakonischen Werkes Westfalen, die westfälischen diakonischen Einrichtungen, Recherchen anzustellen und sich offensiv des Themas ,,Zwangsarbeit" anzunehmen. Den einführen„den Vortrag hielt Dr. Uwe Kaminsky, der im Auftrag von Diakonie und Kirche im Rheinland die dortige regionale Situation erforscht. In seinem Referat über ,,Zwangsarbeit als Thema der historischen Forschung" skizzierte er auch Perspektiven der Verortung von kirchlich-diakonischer Zwangsarbeit innerhalb des Gesamtsystems.

In seinem kurzen Überblick über die Entwicklung der Diskussion im Bereich von Diakonie und Kirche verdeutlichte Dr. Michael Häusler, Leiter des Archivs des Diakonischen Werkes der EKD in Berlin, die Schwierigkeit, dass die Auseinandersetzung mit dem Zwangs„arbeiter„einsatz auf zwei Ebenen erfolgt. Zum einen ist gerade im kirchlichen Bereich die moralisch-ethische Komponente der Diskussion von grundlegender Bedeutung, zum anderen sind sowohl die Landeskirchen als auch die Diakonie konfrontiert mit der eigenen unmittelbaren Verstrickung in die Zwangsarbeiterproblematik. Dem entspricht auch die Ambivalenz zwischen der wissenschaftlichen und der öffentlich-politischen Diskussion. Unabhängig von diesen Strömungen betonte er aber die Chance für die Diakonie, die Kompetenz ihrer Archiv„arbeit unter Beweis zu stellen, außerdem stellte er klar, dass die 10 Millionen DM, die Diakonie und Kirche zum Entschädigungsfonds beitragen, als ,,Zustiftung von Dritten" nicht dazu dienen, die Wirtschaft zu entlasten.

Prof. Dr. Jochen-Christoph Kaiser aus Marburg, der das gemeinsame Forschungsprojekt des Diakonischen Werkes und der Evangelischen Kirche in Deutschland leitet, forderte, die allgemeinpolitische, die diakoniepolitische und die wissenschaftliche Ebene auseinanderzuhalten. Im Rahmen des Forschungsprojekts werden drei Projektmitarbeiter die erhaltenen Unterlagen in staatlich-kommunalen, kirchlichen und diakonischen Archiven — auch in Polen — sichten und auswerten. In einem Sammelband, der im Herbst 2002 im Kohlhammer-Verlag erschei„nen wird, werden dann auch analytisch-vergleichende Auswertungen publiziert. Dabei wird auch der Komplex der kirchlich-seelsorgerlichen Betreuung behandelt.

Selbst wenn die Quellenlage im Einzelfall gut ist, wie das von Rainer Kregel vorgestellte Beispiel Wittekindshof in Bad Oeynhausen — eine bedeutende westfälische Anstalt für Geistigbehinderte — deutlich macht, ergeben sich Methoden- und Auswertungsfragen, die in die Mikrogeschichte der polykratischen NS-Gesellschaftspolitik führen. Im übrigen zeigte sich an Beispielen aus der Diakonie in ganz Deutschland, dass ein kirchlich-archivischer Eigenweg nicht zum Ziel führt, sondern schon aufgrund der diffusen und disparaten Quellenlage ein möglichst methodischer Informationsaustausch mit den anderen Archivsparten — hier insbesondere mit den Kommunalarchiven, aber auch mit den Staatsarchiven und anderen Archiveinrichtungen — wünschenswert und zur konkreten und umfassenden Hilfe für die Betroffenen unbedingt erforderlich ist. Viele Fachfragen konnten nur vorläufig andiskutiert werden und bedürfen weiterer, differenzierter Klärung. Die Tagung in Münster erwies sich aber als Startschuss einer interkonfessionellen und überregionalen Zusammenarbeit, die freilich noch — etwa als digitales Netzwerk — stärker institutionalisiert werden muß.

Hinweis:

Zwei Studien präsentieren bisher Zwischenergebnisse zum Thema Zwangsarbeit in Diakonie und Kirche:

Verletzte Menschenwürde. NS-Zwangsarbeiter in der Diakonie: Hintergründe - Teilergebnisse - Forschungsperspektiven, hg. v. DW der EKD, Stuttgart, August 2000 und

Matthias Benad / Wolfgang Motzkau-Valeton / Kerstin Stockhecke: Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene in den v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel 1939 - 1945. Ein Zwischenbericht vom September 2000.

Anfragen und Informationen auch unter:

projekt-zwangsarbeit@gmx.de

Reinhard van Spankeren
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Bericht über einen Besuch in Brüssel in den Archiven des Service des Victimes de la Guerre und des Ministére de la Santé Public

Bei einem Forschungsaufenthalt im Archiv des Service des Victimes de la Guerre im Ministére de la Santé Public in Brüssel konnten sehr wichtige, den Zwangsarbeitereinsatz in Düsseldorf betreffende Dokumente aufgefunden werden. Diese Dokumente werden zweifellos dazu beitragen, noch unbekannte Aspekte des Systems der Zwangsarbeiterlager und -unterkünfte aufzudecken, vor allem hinsichtlich Standort, Größe und personeller Zusammensetzung der einzelnen Lager. Darüber hinaus konnten überraschenderweise auch Bestände ermittelt werden, die u. a. in der Frage der Lager und Unterkünfte für Zwangsarbeiter auch über die Grenzen des Stadt- und Regierungsbezirkes Düsseldorf hinaus von höchster Bedeutung sind.

Suchgeschichte

Der Weg in das Archiv des Ministére de la Santé Public„ verlief nicht gradlinig. Am Anfang stand eine im Stadtarchiv Düsseldorf überlieferte Korrespondenz aus dem Jahre 1948 zwischen dem Ober„bürger„meis„ter der Stadt Düsseldorf und dem alliierten belgischen Such„offizier De Maen. Letzterer war von seiner Regierung beauftragt, für ein ihm zugewiesenes Gebiet Listen„ sämtlicher Lager und Gefängnisse zu erstellen. Es ist bekannt, dass die Stadtverwaltung auf Anweisung De Maens eine solche Liste erstellt hat. Leider ist sie aber verschollen. Da De Maen im Auftrag der belgischen Regierung arbeitete und nachweislich eine Liste über Lager in Düsseldorf in Empfang genommen hat, erschien eine Anfrage in den belgischen Archives Royales in Brüssel geboten (Februar 2000). Dort war von einer solchen Liste oder von einem Offizier De Maen nichts bekannt, man verwies aber (im März) an das Centre de la Documentation de la Ile Guerre Mondiale, das sich ebenfalls in Brüssel befindet. Auch hier fiel dieAntwort auf die Anfrage negativ aus, allerdings empfahl ein Mitarbeiter (im April), sich an den oben genannten Service des Victimes de la Guerre im Ministére de la Santé Public zu wenden. Dort würden die Akten„ des damaligen Kriegsministeriums, für das De Maen recherchiert hatte, aufbewahrt. Als im Mai die an die Leiterin des Service, Sophie Vande„pontseele, gerich„tete Anfrage nach Beständen des Suchoffiziers De Maen positiv beantwortet wurde, war die Entscheidung für einen Archiv-Besuch in Brüssel gefallen.

Die Bestände

Zunächst muss erwähnt werden, dass - nach Auskunft der Leiterin des Archivs - dieses bisher 
kaum von deutschen Forschern genutzt worden ist. Schon nach einer ersten Durchsicht des Findbuches stand fest, dass sich in diesem Archiv in großem Umfang noch unbekanntes Material über die NS-Zeit befindet. Aus Zeitmangel konnten nur wenige Bestände eingesehen werden. Als wichtigstes Ergebnis für die Arbeit im Rahmen der Dokumentation über die ,,Zwangsarbeiter in Düsseldorf" lässt sich aber festhalten, dass die gesuchte Liste tatsächlich aufgefunden werden konnte. Sie ist in dem Bestand ,,Enquetes sur les Prisons et le Camps Douteux" (,,Suche nach weifelhaften Lagern und Gefängnissen") überliefert. Dieser umfasst allein für den Regierungsbezirk Düsseldorf acht (!) Aktenordner.

Der für Düsseldorf interessante Ordner enthält zumeist detaillierte Informationen über 150 Lager. Mit diesem Material können noch existierende Lücken geschlossen werden. In den übrigen sieben Ordnern sind ebensolche detaillierte Listen über alle Stadt- und Landkreise des Regierungsbezirkes enthalten. Dank einer weiteren von De Maen angefertigten Liste ist nun auch bekannt, dass insgesamt 5.633 belgische Staatsangehörige zwischen 1939 und 1945 in Düsseldorf arbeiteten/zur Zwangsarbeit herangezogen wurden. Die Ermittlung der in Deutschland zur Zwangsarbeit herangezogenen belgischen Staatsangehörigen war anscheinend einer der Anstoßpunkte zur Erstellung der Listen über die ,,zweifelhaften Lager".

Aber noch weitere erstaunliche Dokumente und Bestände lagern im Archiv des Service des Victimes de la Guerre, von denen hier einige kurz aufgezählt werden sollen, ohne dass (in Anbetracht der Kürze des Aufenthaltes) eine Garantie auf Vollständigkeit gegeben werden kann:

,Die von belgischen Suchoffizieren durchgeführte Suche nach ,,zweifelhaften Gefängnissen und Lagern" und die damit verbundene Erstellung von detaillierten Listen erstreckte sich über die gesamt britische Zone. Alle diese Listen sind erhalten.

,Die umfangreiche Korrespondenz zwischen deutschen regionalen Verwaltungen und den verschiedenen belgischen Suchoffizieren ist ebenfalls erhalten. Sie enthält zahlreiche Informationen über Lager und Unterkünfte von Zwangsarbeitern. Die Korrespondenz reicht bis in die 60er Jahre und ist noch völlig unerschlossen.

,Einsehbar sind auch Kopien der Zugangsbücher der großen Konzentrationslager Buchenwald, Neuengamme, Dachau, Ravensbrück usw. Die Originale dieser Kopien befinden sich im Archiv des Internationalen Suchdienstes des Roten Kreuzes in Bad Arolsen, das für die Forschung weitestgehend unzugänglich ist, oder in den ehemaligen Lagern selber.

,Von den belgischen Suchoffizieren wurden auch mehrere Ordner mit Kopien von Generalakten der Stapoleitstelle Düsseldorf angefertigt. Bislang konnten drei Ordner zu den Themen ,,Zwangsarbeiter" sowie ,,Deportation der Juden im Bereich der Stapoleitstelle" aufgefunden werden. In kleinerem Umfang sind auch originale Generalakten der Stapoleitstelle Düsseldorf überliefert.

Joachim Schröder,
,,AG Zwangsarbeiter"
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DFG-Projekt ,,Deutsch-Amerikanische Fachkonzeption Online-Erschließung" — Erstes Arbeitstreffen in Washington am 23./24.06.2000

Nachdem die Mitglieder des Unterausschusses Archivwesen der DFG im Mai 1999 eine Studienreise in die USA unternommen hatten mit dem Ziel, umfassende Einblicke in die Bereiche Online-Erschließung und Präsentation von Findmitteln im Internet zu erhalten, wurde angeregt, die bereits vorhandenen Kontakte und Erfahrungen für ein bilaterales Projekt zu nutzen.

Im April 2000 wurde der Antrag der Archivschule Marburg von der DFG positiv beschieden. Auf amerikanischer Seite erklärte sich die CLIR (Council on Library and Information Resources) zu einer Förderung des einjährigen Projektes bereit. Schwerpunktmäßig geht es um Verfahren der Online-Präsentation archivischer Findmittel und deren Weiterentwicklung. Besondere Beachtung findet das von amerikanischer Seite entwickelte EAD-Verfahren. Bei EAD (Encoded Archival 
Description) handelt es sich um einen Strukturstandard zur Präsentation von Erschließungsergebnissen im Internet. EAD ist als plattformunabhängige, natürlichsprachige Sei„ten„be„schrei„bungs„spra„che zu verstehen, die zugleich die Dokumententypdefinition für Findbücher auf der Basis des SGML-Standards liefert. Die amerikanischen Kolleginnen und Kollegen, die bereits mit Archiven und Archivverwaltungen anderer Staaten in Verbindung stehen, sind an einer Internationalisierung von EAD interessiert, Voraussetzung dafür ist jedoch eine Vergleichbarkeit archivischer Grundstrukturen und Arbeitsweisen.

Das erste Arbeitstreffen in Washington im Juni, das von deutscher Seite im Vorfeld durch Beiträge vorbereitet worden war, die auch den amerikanischen Kolleginnen und Kollegen zur Verfügung gestellt worden waren, war bestimmt von einem intensiven Erfahrungsaustausch. Dabei galt es zunächst, die jeweilige Arbeitspraxis in den Bereichen Akten- und Bestandsbildung sowie Bestandserschließung und Präsentation der Erschließungsergebnisse (Findmittel) auszutauschen. Ein weiterer Schwerpunkt bildete die Diskussion über die Möglichkeiten und Grenzen von EAD insbesondere vor dem Hintergrund der Archivpraxis in Deutschland. Am zweiten Tag wurde ein umfassender Arbeitskatalog vereinbart, dessen Themenkomplexe in den nächsten Monaten von deutsch-amerikanischen Arbeitsteams aufzuarbeiten sind. Hierbei geht es schwerpunktmäßig um folgende Themen:

1) Internationale Erfahrungen mit der Nutzung von EAD, verbunden mit einer Untersuchung von MIDOSA durch die EAD-Arbeitsgruppe der Society of American Archivists (SAA). Darüber hinaus zweisprachige Ausarbeitung der wichtigsten Fachterminologie.

2) Entwicklung von Kriterien und Maßstäben für eine erfolgreiche Einführung von Internetpräsentationen.

3) Erarbeitung von Empfehlungen und Übereinkommen für die Präsentation der Findmittel und von Suchergebnissen im Internet.

4) Formulierung von Anforderungen an Werkzeuge für die Erfassung der Informationen und die Nutzung.

5) Systematische Dokumentation des Prozesses dieses Projektes als Pilot für internationale Harmonisierung.

6) Zusammenstellung zukünftiger Aufgaben und Forschungsagenden.

Die Auswertung der Ergebnisse sowie die Abstimmung des weiteren Verfahrens erfolgt im Rahmen einer zweiten Sitzung der Arbeitsgruppe im Frühjahr 2001 in Marburg.

Die deutsch-amerikanische Arbeitsgruppe setzt sich wie folgt zusammen:

Amerikanische Mitglieder:

Jackie Dooley Leiterin des Archivs der Universität von Kalifornien, Irvine

Miachael Fox Direktor der Minnesota His„torical Society, die die Funktion des Staatsarchivs von Minnesota wahrnimmt

Steven Hensen Direktor der Spezialbibliothek der Duke University

Kris Kiesling Leiterin des Archivs des Humanities Research Centers der Universität von Texas in Austin

Kathleen Roe Direktorin des Staatsarchivs und der Schriftgutverwaltung des Staates New York

Richard Szary Leiter des Universitätsarchivs der Yale-Universität, New Haven

sowie Abby Smith und Deanna Marcum für die CLIR.

Deutsche Mitglieder:

Dr. Nicole Bickhoff Landesarchivdirektion Baden-Württemberg

Dr. Mechthild Black-Veltrup Nordrhein-Westfälisches Hauptstaatsarchiv Düsseldorf

Dr. Edgar Büttner Bundesarchiv Koblenz

Beate Friedrich Bundesarchiv, Stiftung Parteien und Massenorganisationen der DDR, Berlin

Bernhard Grau Bayerisches Hauptstaatsarchiv München

Dr. Angelika Menne-Haritz Archivschule Marburg

Klaus Tempel Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin

Katharina Tiemann Westfälisches Archivamt,

Münster

Tie
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Karl Schwesig (1898 - 1955) — Bilder aus der Haft und Emigrationszeit

Ausstellung in der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache Dortmund


1. Oktober 2000 — 31. Januar 2001

In Zusammenarbeit mit der Auslandsgesellschaft Nordrhein-Westfalen, der Arbeitsgemeinschaft ehemals verfolgter Sozialdemokraten Bezirk Westliches Westfalen und Unterbezirk Dortmund, dem Frauenbüro der Stadt Dortmund und der Galerie Remmert und Barth in Düsseldorf zeigt die Mahn- und Gedenkstätte Steinwache Dortmund die Bilder Karl Schwesigs (1898 - 1955) aus der Haft- und Emigrationszeit. Während der Zeit des Nationalsozialismus war Karl Schwesig wie viele andere Künstlerinnen und Künstler von Verfolgung, Folter und Internierung betroffen und seine Bilder spiegeln die Schrecken dieser Jahre.

Karl Schwesig wurde am 19. Juni 1898 als Sohn eines aus Polen eingewanderten technischen Zeichners in Gelsenkirchen geboren. Der aufgrund von Rachitis und einer Wachstumshemmung nur 1,39 m große Karl Schwesig litt unter der strengen, nationalistischen Erziehung im Elternhaus und fand erst als Jugendlicher zur Malerei. 1915 zum Kriegsdienst eingezogen, musste er jedoch aufgrund seiner körperlichen Gebrechen nur Büroarbeiten verrichten. Durch ein Stipendium war es ihm nach dem Krieg möglich, an der Kunstakademie in Düsseldorf zu studieren. Dies bedeutete für ihn auch die Befreiung aus der Enge des ungeliebten Elternhauses. Wohl fühlte er sich jedoch auch dort nicht, da er im konservativen Akademiebetrieb nicht die künstlerische Freiheit hatte, die er sich wünschte. Kontakte mit der Kunsthändlerin Johanna Ey ermöglichten es ihm schließlich, sich der avantgardistischen Künstlergruppe ,,Das Junge Rheinland" anzuschließen. 1921 wurden seine Bilder erstmals in der Düsseldorfer Kunsthalle ausgestellt, wo sie von einer konservativen Öffentlichkeit ablehnend beurteilt wurden. Auch die konservative Presse verfolgte Schwesigs künstlerische Entwicklung mit Argwohn. Seine Teilnahme an Kunstausstellungen in Moskau und Leningrad verminderten diese Resentiments nicht.

Ab 1924 gab er mit Freunden die radikal-politisch satirische Zeitschrift ,,Die Peitsche" heraus, in der Klassenjustiz, Militarismus und nazistische Tendenzen in der Gesellschaft angeprangert wurden. Unter dem Eindruck des ständigen Machtzuwachses der Nationalsozialisten und nach Besuchen Hitlers in Düsseldorf trat Schwesig 1932 der KPD bei.

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933 beteiligte sich Karl Schwesig an der Herstellung und Verbreitung nunmehr illegaler Flugblätter und nach dem KPD-Verbot stellte er sein Atelier für Treffen von verfolgten KPD-Funktionären zur Verfügung. Als dies bekannt wurde, wurde er im Juli 1933 verhaftet und hatte drei Tage lang schwere Folterungen im ,,Schlegelkeller" zu erdulden. Nach seiner Verurteilung wegen ,,Vorbereitung zum Hochverrat" verbüßte er eine sechzehnmonatige Haftstrafe im Gefängnis Wuppertal-Ben„dahl. Kurz darauf begann er mit seiner Arbeit an dem Schlegelkellerzyklus, womit er seine schrecklichen Erlebnisse zu verarbeiten suchte. Im Frühjahr 1935 gelang ihm die illegale Emigration nach Antwerpen, wo er in den kommenden Jahren Asyl fand. Zwei Jahre später wurde er von den Nationalsoziali
sten offiziell ausgebürgert.

Seine Arbeiten über die Schlegelkellererlebnisse stießen in europäischen Ländern auf großes Interesse und wurden in Brüssel, Amsterdam und Moskau ausgestellt. Er ließ sich auch sonst nicht zum Schweigen bringen und berichtete im Juli 1936 u.a. vor der ,,Europäischen Amnestiekonferenz für die politischen Gefangenen in Deutschland" von den Verfolgungen und den Folterungen während der Haftzeit in Deutschland. Als die Gefahr durch das nationalsozialistische Deutschland immer größer wurde, berichtete er anonym in Zeitungen über die Gefahren, die von diesem Land ausgingen. So konnte er unter anderem auch in der angesehenen Genter Zeitung ,,Vooruit" von den Zuständen in Deutschland berichten.

Nach dem Einfall deutscher Truppen in Belgien im Mai 1940 wurde er in Antwerpen interniert und schließlich mit anderen deutschen und österreichischen Emigrantinnen und Emigranten ohne rechtliche Grundlage in Viehwagons nach Südfrankreich deportiert. Viele der zurückgelassenen Bilder wurden in der Folgezeit aus Angst vor Durchsuchungen der Gestapo von den Hausbewohnern vernichtet. Bis 1943 wurde er in den Lagern St. Cyprien, Gurs, Noé und Nexos gefangen gehalten. Auch hier ermöglichte ihm seine Kunst das physiche und psychische Überleben: er tauschte Bilder gegen Nahrung, zeichnete die Zustände im Lager und porträtierte seine Mitgefangenen. Seine Modelle waren gebrechliche Jüdinnen und Spanienkämpfer, die sein Schicksal als Gefangene teilten. Die Bilder gaben die Lagerrealität so krass wieder, dass er später zögerte, sie auszustellen. 1943 wurde er von der SS aus dem Lager Nexos geholt und ins Gefängnis nach Düsseldorf überstellt, wo er zu Zwangsarbeit in den Trümmern der Stadt gezwungen wurde. Es entstanden Zeichnungen von den Trümmergrundstücken und von seinen Bewachern. Als im Lager Flecktyphus ausbrach, wurde Schwesig entlassen, jedoch war er noch immer unter Polizeiaufsicht, als ihm bei einem Bombenangriff die Flucht an die Mosel gelang. Hier wurde er jedoch von dem örtlichen NS-Kreisleiter denunziert, und es folgte erneute Inhaftierung und Misshandlungen durch die SS. Als amerikanische Truppen nahten, wurde Karl Schwesig im Februar 1945 aus der Haft entlassen.

Er kehrte nach Düsseldorf zurück und beteiligte sich aktiv am kulturellen Wiederaufbau. In großformatigen Gemälden und der Radierfolge ,,Les Inutiles/Die Nutzlosen" arbeitete er seine Internierungszeit künstlerisch auf. Er musste jedoch schnell die Erfahrung machen, dass die Mehrzahl der Deutschen von der NS-Zeit nichts mehr wissen wollten und geriet mit seinem Kampf gegen den Nazismus und seiner kompromisslosen Haltung, das Gewesene nicht zu verschweigen, erneut ins gesellschaftliche Abseits. Als er einen Oberstaatsanwalt, der Post noch immer an die ,,Adolf-Hitler-Straße" adressierte und Schwesig mitteilte, dass die während der NS-Zeit gegen ihn geführten Ermittlungen nun eingestellt seien, empört entgegnete, bei der Justiz herrsche noch immer der Hitlergeist, trug ihm dies eine Beleidigungsklage ein. Er musste eine Geldstrafe an Opfer des Faschismus zahlen, zu denen er selbst gehörte. Durch sanften Druck des Kulturministeriums wurden bereits ab 1947 ,,NS"-Maler bei Ausstellungen zugelassen, während ehemals Verfolgten wie Karl Schwesig die Mitgliedschaft im Künstlerbund verwehrt blieb. Auch galt Schwesig wegen des Hochverratsprozesses von 1934 als vorbestraft und seit seiner Ausbürgerung 1937 als staatenlos. Nicht zuletzt wegen dieses Umgangs mit Verfolgten des NS-Regimes befürchtete er, dass die ,,alten Mächte" wieder an Einfluss gewinnen könnten und sah die gerade erst gewonnene Freiheit in Gefahr. Mit seinen Arbeiten wandte er sich immer wieder gegen den Militarismus und reaktionäres Gedankengut.

Die Nachkriegsjahre waren von Sorgen um die materielle und künstlerische Existenz bestimmt. Eine Wiedergutmachung für seine verbrannten Bilder wurde abge„lehnt, da man den Wert nicht habe feststellen können. Aus Sorge um seine Familie stellte er zahlreiche Anträge für Ankäufe und Unterstützungen. Karl Schwesig hatte 1946 die Schauspielerin Hannelore Müller geheiratet und war Vater von drei kleinen Kindern, als er 1955 die Mitteilung der Landesrentenbehörde erhielt, zuviel Geld bekommen zu haben. Kurz darauf erlitt er einen Gehirnschlag und starb im Alter von 57 Jahren.

Um die finanzielle Not der Familie zu mildern, kaufte die Stadt Düsseldorf 1958 das Bild ,,Selbstbildnis im Karneval". Dies ermöglichte es der Familie, nach Israel auszuwandern. Seine Witwe übergab israelischen Museen„ fast alle der in französischen Internierungs„lagern entstandenen Arbeiten.

Das Grab Karl Schwesigs wurde 1980 nach Ablauf der 25-Jahresfrist auf dem Friedhof Düsseldorf-Heerdt eingeebnet.

Mahn- und Gedenkstätte Steinwache

Steinstr. 50, 44147 Dortmund (Nordausgang Hbf); direkt am Nordausgang des Dortmunder Hauptbahnhofs, in der Nähe des Auslandsinstituts gelegen; Parkplatz für Bus und PKW direkt vor dem Gebäude.

Telefon,(0231) ………50 - 2 50 02

Internetadresse: www.ns-gedenkstaetten.de/nrw

Öffnungszeiten: Di - So; 10:00 - 17:00 Uhr

Ausstellungsdauer: 01.10.2000 - 31.01.2001

DortmundChristina Seipp


Stadtgeschichte Rüthen

Am 29. September 1200 stellte Erzbischof Adolf von Köln eine Urkunde aus, in der die neu gegründete Stadt Rüthen erwähnt wird. Die Stadt Rüthen hat diese Ersterwähnung zum Anlaß genommen, eine umfassende, wissenschaftlich fundierte Geschichte der Stadt in Auftrag zu geben. Nachdem eine Reihe von Vorgesprächen stattgefunden hatten, wurden am 1. September 1994 Dr. Wolfgang Bockhorst (Münster) für die ältere Stadtgeschichte bis 1800 und Dr. Wolfgang Maron (Lippstadt) für die Geschichte der letzten zwei Jahrhunderte mit der Konzipierung der Stadtgeschichte beauftragt. Am 22. Februar 1995 genehmigte dann der Stadtrat das vorgelegte Konzept und vollzog die Übertragung der Herausgeberschaft. Schon am 13. Juni 1995 fand ein erstes Treffen der möglichen Autoren und der an der Stadtgeschichte interessierten Rüthener Bürger statt, auf dem die Konzeption vorgestellt und diskutiert wurde. In den folgenden Monaten kristallisierte sich der Kreis der Mitarbeiter heraus, der schließlich mehr als 20 Personen, davon fünf aus Rüthen, umfaßte. In kleineren Gruppen wurden in der folgenden Zeit epochenspezifische und thematische Probleme besprochen und Absprachen getroffen, um Widersprüche und Überschneidungen nach Möglichkeit auszuschließen.

Pünktlich am 29. September 2000 konnte dann die neue Stadtgeschichte, zu der die Beiträge zwischen 1998 und 2000 eingegangen waren, dem Bürgermeister auf einer festlichen Veranstaltung in der Stadthalle in Rüthen von den Herausgebern (Photo) überreicht werden.

Der in den ,,Studien und Quellen zur westfälischen Geschichte" im Bonifatius-Verlag herausgekommene Band umfaßt 1024 Seiten und behandelt nach Überblicken zur Geologie, Vor- und Frühgeschichte und einem stadtgeschichtlichen Rundgang in 25 Beiträgen die Geschichte der Stadt zwischen 1200 und 2000. Gänzlich neu erarbeitet wurde dabei die Geschichte Rüthens im 19. und 20. Jahrhundert.

Das vorgelegte Werk versteht sich nicht als das abschließende Wort zur Geschichte der Stadt Rüthen, sondern wie die früheren stadtgeschichtlichen Arbeiten von Bender (1848) und Preising (1924) als eine Art Zwischenergebnis in der bisherigen Stadtgeschichtsforschung. Es soll auch nach Möglichkeit weitere Forschungen anregen und nicht verhindern. Dem 800jährigen Jubiläum angemessen, soll diese Stadtgeschichte den Blick auf die reiche Vergangenheit dieser Stadt lenken und das Interesse gerade auch des Rüthener Bürgers für die Geschichte seines Gemeinwesens wecken.

Bo
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Überführung französischer Archivalien an das Departementalarchiv in Montpellier

Anfang des Jahres wurde das Stadtarchiv Soest um Mithilfe gebeten, um die Herkunft eines kleinen Dossieriers französischer Archivalien des 12. bis 17. Jahrhunderts zu klären. Nachdem über das Westfälische Archivamt Kontakt zum Archiv des Departements Hérault aufgenommen worden war und dort Interesse an den Archivalien bestand, wurde das Dossier im Mai nach Montpellier übersandt. Dort sind die Archivalien heute unter der Signatur 1 J 1145 der Forschung zugänglich.

Es handelt sich um Dokumente zur Familie de Clausel, Seigneur von Fontfroide aus den Jahren 1185 bis 1667. Besonders zu nennen sind der Verkauf einer Manse in Fontfroide durch Berenger de Cournon an Pierre de Montferrier 1185, die Exemption des Guts Fontfrède von Abgaben und Steuern 1536 und die Stammtafel der Familie de Clauzel, gefertigt für den Edlen Jean de Clauzel, Seigneur von Fonfroide, Rat am Finanzhof von Montpellier nach 1667. Wie das Departemental-Archiv mitteilte, liefern die Dokumente nützliche Ergänzungen für die Erforschung der Regionalgeschichte.

Ts

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