Für die Menschen, für Westfalen-Lippe
Logo des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe

Landschaftsverband Westfalen-Lippe
https://www.lwl.org

URL dieser Seite: https://www.lwl.org/pm40581



Presse-Infos | Kultur

Mitteilung vom 05.12.16

Archäologen entdecken erste befestigte Flachland-Siedlung der Eisenzeit in Westfalen

Werne (lwl). Wo der Versandhandelsriese Amazon aktuell künftige Geschenke für das Weihnachtsfest lagert, deponierten die Menschen schon vor über 2.000 Jahren in Speichern und Gruben Lebensmittel und Ernten. Mit Siedlungsspuren aus dem ersten Jahrhundert vor Christi Geburt rechneten die Archäologen des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) durchaus, als die Untersuchungen auf dem Gelände des neuen Logistikzentrums des Versandhändlers in Werne begannen. Dass zusätzlich eine gewaltige Befestigungsanlage bei den Bauarbeiten im neuen Gewerbegebiet Wahrbrink II zum Vorschein kam, war eine Überraschung. Die Archäologen dokumentierten hier die Spuren der ersten Siedlung der Eisenzeit in Westfalen abseits der Gebirgsregionen, die mit einem riesigen Graben gesichert war.

Die Hinweise auf das Alter der Siedlung sind eindeutig. Zunächst lassen sich die Fragmente der auf dem Gelände entdeckten Keramik in die Epoche einordnen, die auch als Spätlatènezeit bezeichnet wird. Das Bruchstück eines Glasarmrings, der mit einer gelben Farbauflage verziert ist, war typisch für diese Zeit. Zudem haben naturwissenschaftliche Untersuchungen diese erste Einschätzung untermauert. Holzkohlefunde ermöglichten eine naturwissenschaftliche Datierung mithilfe der Radiokarbonmethode.

Die übrigen Besiedlungspuren, die hier von den Archäologen dokumentiert wurden, sind für den Laien im Boden nur als dunkle Spuren zu erkennen. Dazu zählen nicht weniger als 50 Gruben, woraus Lehm als Baumaterial gewonnen wurde oder in denen Vorräte gelagert wurden. Später gelangte der Alltagsmüll der Siedler hinein. Unter den Gruben fanden sich auch solche, die für Pfostenbauten in den Boden eingetieft wurden. Sie sind innerhalb des Grabenwerkes aufgetaucht. Sie bilden die letzten Überreste des Siedlungsplatzes, denn hier haben die damaligen Siedler vor über 2.000 Jahren gewohnt und gearbeitet und deutliche Spuren ihrer Anwesenheit hinterlassen. So konnten die Fachleute vier kleine Grundrisse von Speichergebäuden mit Gebäudekonstruktionen aus vier und sechs Pfosten im Boden erkennen. In den Speichern lagerten die Siedler ihre Lebensmittel und die Ernte, um sie vor dem Verderben zu schützen. Außerdem zeigen zahlreiche Keramikscherben, die typische Formen von Gefäßen aus der Eisenzeit haben, dass die Menschen hier ihr normales Alltagsleben verrichteten. Allerdings sind die Spuren im Boden bedingt durch den natürlichen Bodenabtrag leider nicht mehr sehr gut erhalten.

Die ersten Spuren des stellenweise nur noch bis zu einer Tiefe von einem halben bis einen Meter erhaltenen Befestigungsgrabens sorgten bereits für erhöhte Aufmerksamkeit unter den Archäologen. Dann die Überraschung: Aus dem Boden tauchten immer mehr deutliche Verfärbungen auf. Der Graben wurde länger und länger. Egal wo der Bagger große Trassen durch das rund 30.000 Quadratmeter große Gelände von einem Ende zum anderen von Mutterboden befreite: Überall dokumentierten die Archäologen der Grabungsfirma neue Graben-Abschnitte und verfolgten gezielt den Verlauf der Befestigungsanlage. Spätestens auf dem Ausgrabungsplan war nicht mehr zu übersehen, dass die Befestigung ein früheres Siedlungsareal komplett umschließt. ¿Eine kleine Unterbrechung des Grabens und zwei außerhalb liegende dunkle Verfärbungen mit den Spuren von Pfosten deuten auf eine Art Tor in der Befestigungsanlage hin¿, so Grabungsleiter Felix Kunze. Allerdings sind in den zurückliegenden mehr als 2.000 Jahren große Teile der Oberfläche durch Wind, Wasser und Bodenbearbeitung abgetragen worden. Ehemals war der Graben womöglich rund zwei Meter tief.

¿Solche Ergebnisse sind auch jenseits von Westfalen bislang selten¿, weiß LWL-Archäologe Prof. Dr. Michael Baales. Höhenbefestigungen aus der Eisenzeit sind in Westfalen schon vor längerer Zeit entdeckt worden. In der Zeit vor Christi Geburt haben die Bewohner der südlichen Regionen offenbar mit Gräben, Mauern und Zäunen ihre Höhensiedlungen vor Bedrohungen geschützt. Aus dem flachen Land ist derartiges noch nicht bekannt. Im Rheinland und in den Niederlanden konnten die Archäologen ähnliche Siedlungszeugnisse auch im Flachland mit Gräben und Pfostenresten bereits ausgraben. Noch weiter im Norden gibt es nur wenige weitere Fundplätze. ¿Solche Siedlungen stellen aber immer noch eine Besonderheit dar¿, betont Baales. Die Dimension der Anlage ist einzigartig für Westfalen. Der Fundort bereichert das Wissen um die Siedlungsweise der Menschen in der späten Eisenzeit gegen Ende des 1. Jahrhunderts v. Chr.

Der Graben muss bereits kurze Zeit nach seiner Entstehung wieder zugeschüttet worden sein. Das deuten auch die spärlichen übrigen Siedlungsspuren an. Ein Grund dafür könnte die Präsenz der Römer an der Lippe gewesen sein. Nicht weit entfernt haben sie die Römerlager in Bergkamen-Oberaden und Lünen-Beckinghausen errichtet.

Die Ausgrabungen der Archäologen wurden trotz des Überraschungsfundes rechtzeitig beendet und der Bau des Logistikzentrums konnte planmäßig begonnen werden. Die archäologischen Untersuchungen wurden in enger Abstimmung mit der Stadt Werne so durchgeführt, dass der Zeitplan der Bauarbeiten eingehalten werden konnte. ¿Wir sind sehr froh, dass die neue Ansiedlung trotz des Überraschungsfundes reibungslos umgesetzt werden konnte¿, betont Monika Geißler von der Unteren Denkmalbehörde der Stadt Werne. ¿Dass an dieser Stelle eine einzigartige archäologische Fundstelle für Westfalen zum Vorschein gekommen ist, die einen großen Beitrag zur Erforschung dieser Epoche leistet, macht uns natürlich auch stolz.¿

Pressekontakt:
Frank Tafertshofer, LWL-Pressestelle, Telefon: 0251 591-235 und Katja Burgemeister, LWL-Archäologie für Westfalen, Telefon: 0251 591-8921.
presse@lwl.org



Der LWL im Überblick:
Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit 20.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen, 21 Krankenhäuser, 18 Museen sowie zwei Besucherzentren und ist einer der größten deutschen Hilfezahler für Menschen mit Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklusive Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, dessen Aufgaben ein Parlament mit 125 Mitgliedern aus den westfälischen Kommunen gestaltet.



Foto zur Mitteilung
Einige Beispiele für die in der Eisenzeit gebräuchliche Keramik, die in Werne ausgegraben wurde.
Foto: LWL/R. Pieper

Foto zur Mitteilung
Dieser Glasarmring mit gelber Verzierung ist ein typische Schmuckstück der Eisenzeit und ist in der Siedlung entdeckt worden.
Foto: LWL/K. Burgemeister

Foto zur Mitteilung
Die gewaltige Grabenanlage ist auf dem Gesamtplan der Ausgrabung gut zu erkennen.
Foto: ArchaeoNet GbR

Foto zur Mitteilung
Die Grabungsfläche im Luftbild. Der Graben ist als dunkle Verfärbung zu erkennen.
Foto: LWL/R. Klostermann

Foto zur Mitteilung
Die Spuren von Gebäude-Pfosten sind im Boden ebenfalls zu erkennen.
Foto: ArchaeoNet GbR

Foto zur Mitteilung
Der Bagger bei der Arbeit - immer länger wird der Graben im Verlauf der Ausgrabung.
Foto: LWL/R. Pieper

Foto zur Mitteilung
Dunkel zeichnet sich der Graben in der Erde ab.
Foto: LWL/R. Pieper


Die gezeigten Fotos stehen im Presseforum des Landschaftsverbandes zum Download bereit.



Das Presseforum des Landschaftsverbandes im Internet: https://www.lwl.org/pressemitteilungen