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Presse-Infos | Kultur

Mitteilung vom 26.08.10

Wege der Migration
Industriemuseum zeigt dauerhaft die Geschichte der Zuwanderung ins Ruhrgebiet

Bochum (lwl). Seit mehr als 150 Jahren ist das Ruhrgebiet ein Einwanderungsland. Millionen von Menschen sind mit der Industrialisierung ins Revier gekommen - viele mit der Hoffnung auf gutes Geld für harte Arbeit, manche aber aus Zwang oder auf der Flucht. Heute leben Menschen aus 170 Nationen im Ruhrgebiet. Mit einem dauerhaften Rundweg spürt der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) in seinem LWL-Industriemuseum Zeche Hannover in Bochum nun der Geschichte der Zuwanderung nach. Am Sonntag, 29. August, um 11 Uhr, eröffnet der Vorsitzende der Landschaftsversammlung, Dieter Gebhard, mit einem Festakt den Rundweg im Museum.
¿Das Ruhrgebiet hat in seiner Geschichte langjährige und vielfältige Erfahrungen mit dem Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft gemacht. Der Schlüssel zur Gestaltung eines einträglichen Zusammenlebens scheint in der Kenntnis der Geschichte der Zuwanderung und Offenheit der Menschen für einander zu liegen¿, so Dieter Gebhard.
¿Mit dem Rundweg machen wir als erstes Museum in der Region die lange Geschichte der Zuwanderung überall auf dem Museumsgelände dauerhaft präsent¿, freut sich LWL-Museumsleiter Dietmar Osses. ¿Nach den erfolgreichen Ausstellungen zur Zuwanderungsgeschichte der letzten Jahre
ist das ein weiterer wichtiger Schritt in der Entwicklung des Themenschwerpunktes Migration im LWL-Industriemuseum Zeche Hannover¿, so Osses weiter. Der Besucher folgt in zwölf Kapiteln den Spuren der Zuwanderung ins Revier, die auf Bild-Text-Tafeln mit allgemeinen Tendenzen sowie lokalen und biografischen Beispielen eindrucksvoll beschrieben wird. Der neue Rundweg soll auch im Rahmen des 3. Bundesfachkongresses Interkultur präsentiert werden, der vom 27. bis 29. Oktober in Bochum stattfindet.

Anfänge der Zuwanderung
In der Mitte des 19. Jahrhunderts wandelte sich das Ruhrgebiet von einer ländlich geprägten Region zum pulsierenden Industriegebiet. Binnen weniger Jahre gründeten sich Dutzende von Zechen und Eisenhütten. Der enorme Bedarf an Arbeitskräften konnten schon bald nicht mehr aus dem Umland gedeckt werden. Aus ganz Westfalen, dem Rheinland und Hessen zogen Menschen zur Arbeit ins Revier. Zahlreiche ausländische Investoren statteten Ihre Unternehmen mit eigenen Fachkräften und Personal aus. Zu tausenden zogen Iren, Belgier und Franzosen in das Ruhrgebiet; italienische Wanderarbeiter kamen als Fachleute für Steinbearbeitung und Tunnelbau.
Mit dem Boom der Industrie Ende des 19. Jahrhunderts zogen mehr als eine halbe Millionen Menschen aus Schlesien, Posen und Masuren ins Revier. Vor allem in den Zechen und Siedlungen des nördlichen Ruhrgebiets bildeten sie bald die Mehrheit. Sie waren in der Regel preußische Staatsbürger, sprachen meist aber polnisch oder Dialekt und wurden im Alltag als Polen angesehen. Viele mussten unter Vorurteilen leiden. Nach dem Ersten Weltkrieg verließ die Mehrzahl der polnischen Zuwanderer das Revier: gut ein Drittel ging zurück in den neu gegründeten Staat Polen, ein Drittel zog weiter nach Westen in die französischen und belgischen Bergbauregionen, die mit hohen Löhnen und guten Lebensbedingungen lockten.


Verfolgt, verschleppt, vertrieben
Während des Zweiten Weltkriegs wurden Hunderttausende Menschen, vor allem aus Polen und der Sowjetunion, ins Ruhrgebiet gebracht und zur Arbeit gezwungen. Als Zivilarbeiter, Kriegsgefangene oder Zwangsarbeiter mussten sie in der Landwirtschaft, in Eisenhütten, Stahlwerken und Zechen unter menschenunwürdigen Verhältnissen bis zum Letzten schuften. Die meisten waren in eigens eingerichteten bewachten Lagern untergebracht, Kontakte mit der deutschen Bevölkerung waren verboten. Nach Kriegsende kehrten viele in ihre Heimat zurück. Mehr als 100.000 Menschen, vor allem aus Polen, konnten jedoch nicht zurückkehren, da ihnen Verfolgung drohte. Sie blieben als ¿Displaced Persons (DP)¿ in provisorischen Lagern zurück. Viele konnten in den Folgejahren nach Übersee auswandern. 1951 richtete das Land NRW dauerhafte Siedlungen für die 17.000 noch Menschen ein.
Für den Wiederaufbau der Industrie und Städte wurden Ende der 1940er Jahre im Ruhrgebiet dringend Arbeitskräfte benötigt. Mehr als 600.000 Flüchtlinge und Vertriebene kamen ab 1949 ins Revier, um im Bergbau, der Eisen- und Stahlindustrie oder der Textilindustrie zu arbeiten.

Gastarbeiter für das Revier
Wiederaufbau und Wirtschaftswachstum brachten in den 1950er Jahren im Ruhrgebiet ein rasantes Wachstum. Flüchtlinge und Vertriebene trugen wesentlich zum Aufbau bei. Angesichts eines drohenden Arbeitskräftemangels schloss die Bundesregierung ab 1955 mit Italien, Spanien, Griechenland, der Türkei, Marokko, Portugal, Tunesien und Jugoslawien Abkommen zur Anwerbung von Arbeitern. Die Aussicht auf schnelles Geld lockte zunächst vor allem junge Männer aus den von Arbeitslosigkeit geplagten Regionen Südeuropas. Viele wollten schnell wieder in die Heimat zurückkehren, um sich dort eine eigene Existenz aufzubauen. Der erworbene Wohlstand führte jedoch oft dazu, dass sie länger blieben und ihre Familien nachholten. Vermehrt kamen nun auch Frauen als Arbeiterinnen für Industrie und Gewerbe. Mit der Wirtschaftskrise 1973 endete die gezielte Anwerbung.
Flüchtlinge und Spätaussiedler
In den 1980er und 1990er Jahren kamen zahlreiche Flüchtlinge und Spätaussiedler ins Ruhrgebiet. Nach dem Militärputsch in der Türkei suchten 1980 vor allem gut ausgebildete Kurden politisches Asyl. Das Verbot der Gewerkschaft Solidarnosc und die Verhängung des Kriegsrechts in Polen drängte rund 100.000 polnische Aktivisten und Bürgerrechtler nach Deutschland. Zeitgleich nutzte gut eine Millionen Menschen aus Polen den Status als deutsche Spätaussiedler zur Einwanderung nach Deutschland. Die meisten von ihnen zogen nach Berlin oder in das Ruhrgebiet. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion erreichte der Zuzug von Spätaussiedlern 1992 einen neuen Höhepunkt.

Miteinander Leben im Ruhrgebiet
Heute leben Menschen aus 170 Nationen im Ruhrgebiet. Mehr als 100 verschiedene Glaubensrichtungen werden praktiziert. Nachdem die industriellen Massenarbeitsplätze während des Strukturwandels entfallen sind, hat sich der Anteil von Kleingewerbetreibenden unter den Menschen mit Migrationsgeschichte deutlich erhöht. So finden sich heute in den großen Städten des Reviers oft Wohn- und Geschäftsviertel von Zuwanderern. Die lange Geschichte der Zuwanderung ins Ruhrgebiet und die Tradition der Solidarität der Menschen in der Region hilft heute im Ruhrgebiet oft, Lösungen für die kleinen und großen Konflikte im Zusammenleben zu finden und gemeinsame Perspektiven für die Zukunft zu entwickeln.

Hinweis für Redaktionen
Für ein Foto stehen am Sonntag, 29.8., um 10:50 Uhr der Vorsitzende der Landschaftsversammlung, Dieter Gebhardt, und Museumsleiter Dietmar Osses im Vorfeld der Eröffnung zur Verfügung.


LWL-Industriemuseum Zeche Hannover
Günnigfelder Straße 251
44793 Bochum-Hordel
Öffnungszeiten: Mi - Sa14 -18 Uhr, So 11 - 18 Uhr


Pressekontakt:
Christiane Spänhoff, LWL-Industriemuseum, Telefon: 0231 6961-127 und Markus Fischer, LWL-Pressestelle, Telefon: 0251 591-235
presse@lwl.org



Der LWL im Überblick:
Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit 20.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen, 21 Krankenhäuser, 18 Museen sowie zwei Besucherzentren und ist einer der größten deutschen Hilfezahler für Menschen mit Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklusive Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, dessen Aufgaben ein Parlament mit 125 Mitgliedern aus den westfälischen Kommunen gestaltet.



Foto zur Mitteilung
Türkische Frauen beim Spaziergang an der Zeche Hannover in Bochum, um 2000.
Foto: LWL-Industriemuseum/Brigitte Kraemer


Foto zur Mitteilung
Zwangsarbeiter in der Schlosserei der Zeche Hannover, um 1943.
Foto LWL-Industriemuseum/Gustav Carrier


Foto zur Mitteilung
Italienische Bergleute auf der Zeche Hugo, um 1958.
Foto: LWL-Industriemuseum



Die gezeigten Fotos stehen im Presseforum des Landschaftsverbandes zum Download bereit.



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