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Presse-Infos | Kultur

Mitteilung vom 07.04.08

Jakobspilgerweg durch Westfalen eröffnet
¿Westfälischer Lückenschluss¿ verbindet Baltikum mit Spanien

Ascheberg-Herbern (lwl). In Westfalen gibt es seit Montag (7.4.) einen durchgehenden Jakobspilgerweg nach historischem Vorbild. Der ausgeschilderte, zirka 200 Kilometer lange Wanderweg folgt einer alten Fernhandelsstraße von Osnabrück über Münster und Dortmund nach Wuppertal.

¿Der Weg der Jakobspilger ist das Ergebnis siebenjähriger Forschung unserer Altertumskommission für Westfalen¿, sagte Dr. Wolfgang Kirsch, Direktor des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL), der das 300.000 Euro teure Projekt finanziert hat.

¿Wir spüren es an der Resonanz: Der Jakobsweg bewegt die Menschen, spirituell und körperlich¿, so Kirsch bei der Eröffnung in Ascheberg-Herbern (Kreis Coesfeld). Im vergangenen Jahr hätten fast 14.000 deutsche Pilger den Zielort der Pilgerfahrt Santiago de Compostela (Spanien) erreicht, 70 Prozent mehr als im Vorjahr.

Westfälischer Lückenschluss
Mit dem ¿westfälischen Lückenschluss¿ sei der Baltisch-Westfälische Jakobsweg vom Baltikum bis nach Nordspanien so gut wie komplett. Kirsch kündigte an, dass der LWL die Erforschung und Auszeichnung weiterer Jakobswege in Westfalen mit nochmal 300.000 Euro unterstützen werde.

In Wuppertal-Beyenburg schließt eine Jakobspilger-Wanderroute an, die der Landschaftsverband Rheinland (LVR) über Köln und Aachen bis nach Belgien ausgearbeitet hat. Ein Anschlussprojekt im Norden führt den Weg von Osnabrück durch Norddeutschland bis zum Baltikum fort.

Die jetzt eröffnete Trasse läuft entlang einer mittelalterlichen Fernhandelsstraße von Osnabrück nach Wuppertal (über Lengerich, Ladbergen, Münster, Herbern, Werne, Cappenberg, Lünen, Dortmund, Hohensyburg, Herdecke, Gevelsberg und Schwelm). Sie ist mit den Gemeinden vor Ort abgestimmt und mit der charakteristischen Jakobsmuschel (europaweit: gelb auf blauem Grund) ausgeschildert.

Wanderführer
Der LWL gibt zur Eröffnung einen Wanderführer für Fuß- und Radpilger heraus (¿Der Jakobsweg von Osnabrück nach Wuppertal-Beyenburg¿ von Ulrike Spichal und Horst Gerbaulet, 12,95 Euro, Bachem-Verlag, ISBN 978-3-7616-2210-0). Das 240 Seiten starke Taschenbuch beschreibt mit reichlich Kartenmaterial den historischen Weg, die über 1.000 Jahre alte Tradition der Pilgerreise, die Sehenswürdigkeiten und Einkehrmöglichkeiten entlang der Trasse in Westfalen.

Weitere Strecken
Weitere Strecken in Westfalen führen von Corvey (Kreis Höxter) über Paderborn und Soest nach Dortmund (Eröffnung voraussichtlich Ende 2009 oder Anfang 2010) und von Marburg über Siegen nach Köln (2007 eröffnet), dann stehen Strecken von Minden über Bielefeld nach Lippstadt (2011) und von Warendorf über Münster und Coesfeld an den Niederrhein (2013) an.

Wegeforschung
Das Projekt rekonstruiert die mittelalterlichen Wege und die Spuren der Jakobspilger in Westfalen möglichst genau, wie Projektleiterin Ulrike Spichal erläuterte: ¿Es gab für die Pilger in Westfalen und anderswo keine eigenen Wege, im Gegenteil: Sie suchten aus Angst vor Überfällen stark frequentierte, bekannte Trassen.¿

Die Pilgerfahrt zum Grab des Apostels Jakobus des Älteren im über 2.000 Kilometer entfernten nordspanischen Santiago de Compostela hat eine Tradition, die bis ins Mittelalter zurückgeht. Man versprach sich die Heilung von Körper und Seele als Lohn für den Besuch der Kultstätte.

Aus ganz Europa kamen Pilger, Männer und Frauen aus allen Schichten, nach Spanien, zu Fuß oder zu Pferd. Als Beleg und Erkennungszeichen diente die Jakobsmuschel, die jeder Pilger in Santiago erstehen konnte und deutlich sichtbar an der Kleidung oder Umhängetasche trug.

Seit einigen Jahren erlebt die Pilgerfahrt eine Renaissance, nicht erst, seit TV-Stars wie Hape Kerkeling sich auf den Weg machten: 2007 zählte man in Santiago 114.000 registrierte Fußpilger, davon jeder Achte aus Deutschland. Bereits 1987 hatte der Europarat dazu aufgerufen, die Jakobspilgerwege in Europa zu erforschen. 1993 erklärte die UNESCO den Weg zum Weltkulturerbe.

Zwar sind nach Angaben von Projektleiterin Spichal auch bedeutende Kulturdenkmäler ohne ¿Pilger-Bezug¿ wie zum Beispiel Schloss Westerwinkel (Kreis Coesfeld) bei der Planung des Wanderweges durch Westfalen berücksichtigt worden. Weitgehend lehne sich der Weg in Nord-Süd-Richtung aber an historisch belegte Wegführungen an.

Belege für den Pilgerweg
Ulrike Spichal: "Wir haben Reste von Hohlwegen gefunden, die sich durch die schweren Fuhrwerke ins Gelände eingegraben hatten. Zollstationen, die wir nachweisen konnten, waren für den Wanderer keine Hindernisse, denn Pilger waren vom Wegezoll befreit. Zahlreich sind die Hinweise auf mögliche Herbergen wie Klöster und Spitäler."

In Herdecke an der Ruhr wurde zum Beispiel um 1410 an der neu errichteten Ruhrbrücke eine Herberge für Pilger und arme Reisende errichtet. In Osnabrück wurde nicht nur ein durchreisender Pilger bestattet, es gab hier auch eine Jakobikapelle und ein St. Jakobi-Gasthaus, das mittellosen Pilgern für maximal zwei Nächte Unterkunft bot.

Überregionale und lokale Kultstätten konnten die Wegewahl mittelalterlicher Pilger durchaus beeinflussen. So werden zum Beispiel ein wundertätiges Marienbild in Lengerich (Kreis Steinfurt) und die Petrikirche auf der Hohensyburg, die im Mittelalter eine eigene kleine Wallfahrt besaßen, auch Jakobspilger angezogen haben. Ankunft in Santiago und Rückkehr nach Hause waren bei den damaligen Verhältnissen durchaus nicht sicher, so dass es wichtig war, auf dem Weg immer wieder für einen guten Verlauf des weiteren Weges zu beten.

Im 890 erstmals erwähnten Herbern bildete sich erst durch die günstige Lage an der historischen Fernstraße aus umliegenden Einzelhöfen ein Ortskern mit Händlern und Handwerkern, so die Archäologin. Herbern ist heute eine der bisher vier Stempelstationen für moderne Pilger durch Westfalen (neben Münster, Werne, Dortmund).

Pilger aus Westfalen
Über Jakobspilger, die aus Westfalen stammen, sei nur wenig bekannt, so die Forscherin. Bekanntester westfälischer Pilger ist Bischof Anno aus Minden, der sich 1174/75 auf den Weg nach Santiago de Compostela machte, das damals als Pilgerort gleichrangig neben Rom und Jerusalem stand.

Durch eine Pilgerreise konnten Verbrecher auch ihrer Strafe entgehen, wenn ein Gericht sie dazu verurteilte. "Bettler, Räuber und Steuerhinterzieher im Pilgergewand haben zusammen mit den Strafpilgern die Pilgerfahrt im Laufe der Zeit in Verruf gebracht. Jakobsbrüder wurden vielerorts mit Gesindel gleichgestellt. In Herford, einer wichtigen Sammelstation für Pilger in Westfalen, soll die Jakobikirche 1530 wegen der Jakobspilger, die den Status für ihre Zwecke ausgenutzt hatten, geschlossen worden sein", erläutert Spichal. Für mittellose Menschen war jedoch eine Pilgerreise oft die einzige Möglichkeit, die Heimat zu verlassen. Wohlhabende konnten das Pilgern auch delegieren und einen Berufspilger mieten.

Pressekontakt:
Frank Tafertshofer, LWL-Pressestelle, Telefon: 0251 591-235
presse@lwl.org



Der LWL im Überblick:
Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit 20.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen, 21 Krankenhäuser, 18 Museen sowie zwei Besucherzentren und ist einer der größten deutschen Hilfezahler für Menschen mit Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklusive Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, dessen Aufgaben ein Parlament mit 125 Mitgliedern aus den westfälischen Kommunen gestaltet.



Foto zur Mitteilung
Wege der Jakobspilger in Westfalen.
Foto: LWL


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Zwei Jakobspilger in typischer Pilgertracht auf einem Holzschnitt von Jost Amman aus dem Jahr 1568.
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Diese Jakobsmuschel aus Schwerte war einst mit den beiden deutlich sichtbaren Durchlochungen an Hut, Mantel oder Tasche eines Pilger befestigt worden.
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Das offizielle Symbol zur Kennzeichnung der Jakobswege.
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Eine Pilgerin mit moderner Ausrüstung unterwegs.
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In Herbern gibt es eine Stempelstelle für Pilger.
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Die ersten Schritte auf dem Jakobspilgerweg: Allen voran LWL-Archäologe Dr. Werner Best.
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Die gezeigten Fotos stehen im Presseforum des Landschaftsverbandes zum Download bereit.



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