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Presse-Infos | Kultur

Mitteilung vom 09.08.07

Bigos im Pott
Buch ¿Polen ¿ Ruhr¿ erzählt neuere Geschichte der Zuwanderung

Dortmund (lwl). In den letzten Jahren hat sich im Ruhrgebiet ein bemerkenswertes polnisches Kulturleben entwickelt. Ähnlich wie vor 100 Jahren finden sich in fast allen Städten des Reviers wieder polnische Geschäfte, Zeitungen, Gottesdienste, Freizeitangebote und Restaurants: Bigos, das polnische Nationalgericht, bereichert den Speisezettel des Reviers. In einer neuen Publikation blickt das LWL-Industriemuseum auf die lange und nicht immer einfache deutsch-polnische Migrationsgeschichte im Ruhrgebiet zurück. Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) gibt das Buch anlässlich einer Sonderausstellung heraus, die das LWL-Industriemuseum am 17. August auf der Zeche Hannover in Bochum eröffnet.

Die Aufsätze beschäftigen sich schwerpunktmäßig mit der jüngeren Vergangenheit ¿ das ist neu. ¿Die bisherige Forschung zur Geschichte der Polen im Ruhrgebiet hat sich im Wesentlichen auf die Zeit bis zum Ersten und die Zwangsarbeit im Zweiten Weltkrieg konzentriert. Die Beiträge des Sammelbands gehen bis zur Gegenwart und erweitern die Migrationsgeschichte des Reviers um wichtige Aspekte,¿ so Herausgeberin Dr. Dagmar Kift heute (9.8.) bei der Vorstellung des Buches in der Zentrale des LWL-Industriemuseums in Dortmund.

¿Polen ¿ Ruhr¿ beginnt mit einer Überblicksdarstellung von Susanne Peters-Schildgen zur Geschichte und Forschungslage der Zuwanderung ins Ruhrgebiet. Die erste große Zuwanderungswelle erfolgte während der Hochindustrialisierung nach der Reichsgründung von 1871. Dabei spielten Polen eine besonders wichtige Rolle.

Die Stadt Bochum entwickelte sich um 1900 zum organisatorischen Zentrum der sogenannten ¿Ruhrpolen¿. Hier waren die bedeutendsten polnischen Organisationen - religiöse Vereine, Gewerkschaften, Berufsorganisationen und Verlage - ansässig. Wulf Schade und Dietmar Osses beleuchten diesen Aspekt der Stadtgeschichte und gehen der Frage nach, inwieweit die Stadt heute wieder an diese Tradition anknüpft.

Mit den noch wenig erforschten Nachfahren der Ruhrpolen, die nach dem Ersten Weltkrieg nicht ins neu gegründete Polen zurück oder in die französischen und belgischen Industriereviere weiter wanderten, sondern im Ruhrgebiet blieben, befasst sich Valentina Maria Stefanski. Sie schlägt zudem einen Bogen von diesen freiwilligen und mittlerweile heimisch gewordenen Zuwanderern zu den zwischen 1939 und 1945 im Revier eingesetzten Zwangsarbeitern.

Viele ehemaligen Zwangsarbeiter aus Polen blieben nach dem Zweiten Weltkrieg als Displaced Persons (DPs) in Deutschland zurück. Dietmar Osses beschreibt ihr Schicksal anhand des temporären DP-Lagers in Haltern und der Siedlung Dortmund-Eving, die 1951 als dauerhafte Bleibe für die Displaced Persons vom Land Nordrhein-Westfalen mit Gelder der Vereinten Nationen errichtet wurde.

Die deutschen Vertriebenen nach dem Krieg setzten neue Akzente in der Zuwanderungsgeschichte des Reviers, wie Dagmar Kift in ihrem Beitrag zeigt. Jetzt kamen keine Polen ins Revier, sondern Deutsche aus Schlesien, Pommern und Ostpreußen ¿ Gebieten, die nach dem Krieg Polen zugeschlagen wurden.

Den Flüchtlingen und Vertriebenen folgten in einer ersten Ausreisewelle in den 1950er Jahren die Aussiedler. Eine zweite Zuwanderungswelle von (Spät-) Aussiedlern setzte in den 1980er Jahren ein, dazu kamen die Solidarnosc-Flüchtlinge. Wie Veronika Grabe und Andrzej Kaluza zeigen, haben diese sogenannten Polnischsprachigen heute ein engmaschiges Netz an Organisationen, Verbänden und kulturellen Einrichtungen aufgebaut. In der Bundesrepublik leben heute schätzungsweise zwei Millionen ¿Polnischsprachige¿, die meisten von Ihnen im Ruhrgebiet und in Berlin.

Eine Sondergruppe der heutigen Zuwanderer aus Polen bilden die sogenannten ¿Pendelmigratinnen¿, die im Revier vorwiegend in privaten Haushalten oder in der Betreuung älterer Menschen tätig sind. Ihre Arbeits- und Lebensbedingungen, Wertesysteme und Identitätsvorstellungen sind Gegenstand eines an der Universität Dortmund angesiedelten Forschungsprojektes, das Sigrid Metz-Göckel vorstellt.

Mit den drei abschließenden Beiträgen wirft der Band einen Blick auf das deutsch-polnische Verhältnis generell. Wie berichten die jeweiligen Medien über ihre Nachbarn? Mit welchen alten oder auch neuen Stereotypen arbeiten sie? Diesen Fragen geht Magdalena Bernacki in ihrer Analyse der wichtigen deutschen und polnischen Wochenschriften nach.

Das lange und meist schwierige Verhältnis zwischen Polen und Deutschland beleuchten Thomas Urban, Warschauer Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, aus der deutschen und Krzystof Ruchniewicz, Leiter des Willy-Brandt-Zentrums für Deutschland- und Europastudien an der Universität Breslau, aus der polnischen Perspektive. Sie gehen dabei bis ins 18. Jahrhundert zurück und dokumentieren die Komplexität einer langen gemeinsamen und schwierigen Geschichte zweier benachbarter Staaten, die sich - trotz aller gegenwärtigen Dissonanzen - einander anzunähern beginnen.

Der abschließende Katalogteil von Dietmar Osses und Ludwika Gulka-Höll gibt einen Überblick über die Ausstellung ¿Westfalczycy ¿ Ruhrpolen. Zuwanderer aus Polen im Ruhrgebiet 1871 bis heute¿, die das LWL-Industriemuseum vom 17.8. bis 29.10.2007 auf der Zeche Hannover in Bochum zeigt.

Autorinnen und Autoren

Magdalena Bernacki, Kommuniaktionswissenschaftlerin, Görlitz
Dr. Veronika Grabe, Politikwissenschaftlerin, Essen
Ludwika Gulka-Höll, LWL-Industriemuseum Zeche Hannover in Bochum
Dr. Andrzej Kaluza, Deutsches Polen-Institut, Darmstadt
Dr. Dagmar Kift, LWL-Industriemuseum, Dortmund
Prof. Dr. phil. em. Sigrid Metz-Göckel, Universität Dortmund
Dr. A. Senganata Münst, Universität Dortmund
Dietmar Osses, LWL-Industriemuseum Zeche Hannover in Bochum
Dr. Susanne Peters-Schildgen, Oberschlesisches Landesmuseum in Ratingen-Hösel
Dr. Krzysztof Ruchniewicz, Willy-Brandt-Zentrum für Deutschland- und Europastudien, Universität Wroclaw
Wulf Schade, Vierteljahreszeischrift POLEN und wir, Bochum
Dr. Valentina Maria Stefanski, Historikerin, Witten
Thomas Urban, Süddeutsche Zeitung, Warschau

Dagmar Kift, Dietmar Osses (Hg.): Polen - Ruhr. Zuwanderungen zwischen 1871 und heute
(= LWL-Industriemuseum Quellen und Studien Band 14), 164 S., zahlreiche, meist farbige Abbildungen. Klartext Verlag Essen, ISBN 3-89861-851-X

Das Buch kostet 14,90 EUR und ist in den Museumsshops des LWL-Industriemuseum sowie über den Buchhandel erhältlich.

Pressekontakt:
Christiane Spänhoff, LWL-Industriemuseum, Tel. 0231 6961-127 und Markus Fischer, LWL-Pressestelle, Tel. 0251 591-235
presse@lwl.org



Der LWL im Überblick:
Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit 20.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen, 21 Krankenhäuser, 18 Museen sowie zwei Besucherzentren und ist einer der größten deutschen Hilfezahler für Menschen mit Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklusive Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, dessen Aufgaben ein Parlament mit 125 Mitgliedern aus den westfälischen Kommunen gestaltet.



Foto zur Mitteilung


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Agitationskarte aus den Abstimmungskämpfen nach dem Ersten Weltkrieg: Der deutsche Michel füttert die polnisch-alliierte Hydra (Sammlung LWL-Industriemuseum).

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Polnische Kinder beim Zechenfest auf Zollverein, 2004.
Foto: privat



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