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Presse-Infos | Der LWL

Mitteilung vom 07.06.05

Die 341 Toten von Neuwarendorf ¿ LWL stellt Buch vor

Warendorf (lwl). Zwölf Jahre lang haben Archäologen das größte zusammenhängende Gräberfeld der Bronze- und Eisenzeit (3000 bis 50 v. Chr.) in Nordwesteuropa ausgegraben. Es wurde in Warendorf-Neuwarendorf (Kreis Warendorf) auf einer Fläche von über acht Hektar von 1975 bis 1987 freigelegt. Die wissenschaftliche Auswertung des Fundplatzes mit 341 Gräbern präsentiert das Westfälische Museum für Archäologie des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) in dem Buch ¿Die Toten von Neuwarendorf in Westfalen¿. Heute stellte die Autorin Dr. Barbara Rüschoff-Thale, Leiterin des LWL-Landesmuseums in Herne, in Warendorf ihre Dissertation vor.

Seit über 100 Jahren werden an den heutigen Kottruper Seen immer wieder Ausgrabungen notwendig, weil dort seit 1899 Sand abgebaut wird. Nachdem immer wieder archäologische Funde geborgen wurden, fanden in den 1950er-Jahren die ersten systematischen Grabungen statt. Die Auswertung zeigt, dass Menschen diesen Platz seit 115.000 Jahren aufsuchen. Damit ist Neuwarendorf ein Fundort, an denen Erkenntnisse zu vielen verschiedenen Epochen möglich sind. "Mit dem neuen Werk hat Dr. Barbara Rüschoff-Thale, die der Kreisheimatverein von 1996 bis 1999 mit einer archäologischen Bestandserhebung im Kreis Warendorf beauftragt hatte, einen grundlegenden Beitrag geleistet, der weite Aufmerksamkeit erwecken wird", betont Kreisheimatpfleger Prof. Dr. Paul Leidinger die Bedeutung der Publikation.

341 Bestattungen haben niederländische und deutsche Archäologen von 1975 bis 1987 auf dem Gräberfeld ausgegraben. Über einen ungewöhnlich langen Zeitraum, nämlich vom 3. Jahrtausend bis ins 1. Jahrhundert v. Chr. hinein, beerdigten Angehörige hier ihre Toten. Die meisten verbrannten sie und bestatteten den Leichenbrand in einer Urne aus Ton. Die Gräber kennzeichneten sie mit Hügeln und Grabenanlagen. Die größten sind 35 Meter lang. In einigen Anlagen fanden die Archäologen auch Reste von aufwändigen Holzbauten. Durch das Gräberfeld führte eine rund zehn Meter breite Straße. An ihr richteten sich viele der aufwändigeren Grabanlagen aus.

Die unterschiedlichen Bestattungsarten, Knochen und Grabbeigaben wie Schmuck, Keramikgefäße, Waffen, Bernstein und Brot erzählen den Archäologen die Geschichten einzelner Verstorbener und geben Hinweise auf die Entwicklung der Gemeinschaft insgesamt. Anthropologen stellten die damaligen Ernährungsgewohnheiten und Krankheiten fest.

So lag im Grab Nummer Sieben der Leichenbrand einer jungen Frau, die im Alter von etwa 20 Jahren gestorben ist. Sie hatte starke Karies und litt an Eisenmangel. Als sie vor 3000 Jahren starb, wurde sie verbrannt und in einer Urne in einem kleinen Totentempel beigesetzt. Darüber häuften die Angehörigen einen Erdhügel und fassten diesen mit einem Graben ein.

In einer anderen Anlage umschloss ein Graben drei Grabhügel. Unter den Hügeln lagen die Urnengräber von einem Mann, einem Mädchen und einem Jungen. Sie waren nacheinander beerdigt worden. Später ist noch das Grab eines Babys hinzugekommen ¿ als ob hier ein Vater mit seinen drei Kindern liegen würde.

Auch Ungewöhnliches fanden die Archäologen: In einem Grab war ein Hund bestattet. Möglicherweise hat ein Warendorfer sein Haustier so sehr geliebt, dass er es wie einen Menschen beerdigte. Aufgrund seiner Größe und seiner überregionalen Bedeutung ist das Neuwarendorfer Gräberfeld im Westfälischen Museum für Archäologie in Herne ausgestellt. Hier ist der Friedhof als begehbares Modell gestaltet. ¿Die Auswertungen von Dr. Barbara Rüschoff-Thale waren die Voraussetzung dafür, dass wir es überhaupt in diesem Umfang und wissenschaftlich korrekt präsentieren können. Die jetzt vorgelegte Veröffentlichung macht die Ergebnisse auch anderen
Wissenschaftlern zugänglich und schließt das Projekt ab¿, erklärt Dr. Gabriele Isenberg, die Landesarchäologin Westfalens, den Zusammenhang zwischen Ausgrabung, Präsentation im LWL-Museum und wissenschaftlicher Veröffentlichung.

Die archäologische Bedeutung der Region zeigen auch andere Funde, die rund um die Kottruper Seen immer wieder zu Tage treten: bis jetzt insgesamt fast 8000 Knochen- und Geweihstücke von eiszeitlichen Säugetieren wie Mammut, Fellnashorn, Moschusochse, Riesenhirsch oder Löwe.

Auch das bis jetzt einzige Schädelfragment eines Neandertalers in Westfalen stammt aus Neuwarendorf. Dieser war nur 20 bis 30 Jahre alt geworden und hatte eine Hirnhautentzündung. Ob er daran auch gestorben ist, bleibt Spekulation. Aus dem 7. und 8. Jahrhundert fanden Archäologen Spuren einer Siedlung aus fünf Gehöften mit insgesamt 190 Holzbauten. Zu den jüngsten Funden gehören Metallreste, Pfeifen und Biwakspuren aus dem Siebenjährigen Krieg (1756-1763). "Dass im Landesmuseum in Herne in großem Umfang Exponate aus dem Kreis Warendorf präsentiert werden, wirft ein besonderes Licht auf die herausragende archäologische Bedeutung der Region zwischen Ems und Lippe", freute sich Landrat Dr. Wolfgang Kirsch bei der Vorstellung des Buches.

Barbara Rüschoff-Thale: Die Toten von Neuwarendorf in Westfalen.
Bodenaltertümer Westfalens 41. Mainz 2004.
382 Seiten, 87 Tafeln, 6 Beilagen. ISBN 3-8053-3342-0. 29,00 Euro.
Erhältlich in jeder Buchhandlung und im Westfälischen Museum für Archäologie.

Pressekontakt:
Dr. Yasmine Freigang, Tel. 0251 5907-267 und Markus Fischer, Tel. 0251 591-235
presse@lwl.org



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Foto zur Mitteilung
Umschlag: ¿Die Toten von Neuwarendorf in Westfalen¿.
Foto: LWL

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Während der Ausgrabung in Warendorf. Die Gruben markieren die ehemaligen Standorte der tragenden Pfosten eines Holzbaus.
Foto: LWL/Wilhelmi

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Plan von Grab Nummer Sieben mit der Urnenbestattung einer jungen Frau im Zentrum.
Zeichnung: WMfA.

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So stellen sich Archäologen den kleinen Totentempel vor, in dem die junge Frau aus Grab Nummer Sieben bestattet war.
Zeichnung: LWL/Kalla.

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Das Gräberfeld von Neuwarendorf im LWL-Archäologiemuseum in Herne.
Foto: LWL/Menne.


Die gezeigten Fotos stehen im Presseforum des Landschaftsverbandes zum Download bereit.



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