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Presse-Infos | Der LWL

Mitteilung vom 04.03.05

Abschied vom ¿Vater¿ des Westfälischen Industriemuseums
Langjähriger Leiter Helmut Bönnighausen geht in den Ruhestand


Frei ab Freitag, 15 Uhr

Dortmund (lwl). Der langjährige Leiter des Westfälischen Industriemuseums, Helmut Bönnighausen, hat sich am Freitag (4.3.) in Dortmund in den Ruhestand verabschiedet. Der 62-jährige sei ¿Vater und Motor des Museums¿, sagte Wolfgang Schäfer, Direktor des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL), der das 1979 gegründete Industriemuseum trägt. Bönnighausen habe den Schutz der damals ungeliebten Industrieanlagen zu seiner Herzensangelegenheit gemacht. Heute sei das dezentrale Industriemuseum mit insgesamt 90 Millionen Euro Investitionen an acht Standorten das größte Lan-desmuseum des LWL.

Oft kam die Rettung dieser Anlagen in letzter Minute. ¿Manchmal hatten die Abbrucharbeiten bereits begonnen¿, erzählt Helmut Bönnighausen. Er kann einige Geschichten erzählen aus seinem Arbeitsleben. 1973 stellte der LWL den Architekten beim LWL-Amt für Denkmalpflege in Münster ein. Dort übernahm er das neu geschaffene Referat für Technische Kulturdenkmale ¿ ein Novum in der Geschichte der Denkmalpflege.

Sein Lebenswerk aber ist der Aufbau des Westfälischen Industriemuseums, den Bönnighausen seit der Gründung 1979 betreibt, seit 1982 als Leiter. Mit Phantasie und Streitlust, so Schäfer, habe Bönnighausen das dezentrale Museum zu dem gemacht, was es heute ist: ein lebendiger Ort der technik- und industriegeschichtlichen Bildung, aber auch der kreativen Freizeitgestaltung.

Die Musterzeche Zollern II/IV in Dortmund mit ihrer prächtigen Maschinenhalle aus Stahl und Glas dient dem Landesmuseum für Industriekultur mit seinen acht Standorten nicht nur als Zentrale, sondern gilt auch als Keimzelle der Industriedenkmalpflege deutschlandweit. Eine Gruppe von Architekten und Künstlern bewahrte die Jugendstil-Schönheit Ende der 1960er Jahren vor dem Abrissbagger. Zollern darf damit den Rang des ersten Industriedenkmals von europäischer
Bedeutung beanspruchen. Ein neues Bewusstsein für das industrielle Erbe sollte sich aber erst sehr langsam durchsetzen. ¿Noch niemand dachte damals ernsthaft daran, ein Fördergerüst, eine Ziegelei oder einen Hochofen zu erhalten¿, erzählt Bönnighausen.

So galt es in den Pionierjahren vor allem, Überzeugungsarbeit zu leisten. Mehr als einmal wurde der beharrliche Denkmalpfleger aus Münster bei seinen Reisen durchs Land des ¿Irrsinns¿ bezichtigt. Etwa, als er 1986 auf der Abbruch-Baustelle der Zeche Wilhelmine-Vicotria in Gelsenkirchen Schachthalle und Fördergerüst - baugleich mit den 1969 abgerissenen Tagesanlagen über Zollerns Schacht II - für eine Translozierung nach Dortmund ins Visier nahm. Den ganzen Sommer über bereitete ein Trupp von sieben Männern den Transport vor. Allein 2.800 Nieten mussten gelöst werden, um Halle und Gerüst zu zerlegen und in größeren Teilstücken nach Dortmund zu bringen.

Oder als der Museumschef 1989 mitten in einem Uferwald an der Schelde in Belgien eine Werkstatt einrichten ließ, um den Frachtdampfer Phenol wieder schwimmfähig für den Transport ins Ruhrgebiet zu machen. Das Tankschiff von 1904 ¿ ¿ein absolutes Unikum¿ ¿ lag dort durchlöchert wie ein Schweizer Käse im Morast. Heute gehört das bewegliche Denkmal zur europaweit größten Sammlung historischer Binnenschiffe und schwimmender Arbeitsgeräte am Museumsstandort Altes Schiffshebewerk Henrichenburg in Waltrop (Kreis Recklinghausen).

Natürlich gab es auch Rückschläge, etwa als an einem kalten Tag im Februar 1985 das Wasser- und Schifffahrtsamt Herne im Museum anrief und fragte: ¿Haben Sie Taucher?¿ Von dem historischen Dampfer Cerberus, den das Westfälische Industriemuseum gekauft und dort vertäut hatte, lugte nach einer Havarie nur noch der Schornstein aus dem Wasser. Das 75 Jahre alte Feuerlöschboot konnte geborgen werden, wurde später restauriert und ist heute das Vorzeigeschiff des Museums.

Noch Ende der 1980er Jahre machte sich über die Pläne, die stillgelegte Henrichshütte Hattingen (Ennepe-Ruhr-Kreis) in das Industriemuseum zu übernehmen, blankes Unverständnis breit: ¿Dieser Schrott soll Denkmal werden?¿, raunten viele im Angesicht von ¿HO 3¿, dem ältesten, erhaltenen Hochöfen im Revier.

Der rostige Riese hat eine grüne Schutzschicht bekommen und legt heute Zeugnis ab vom Aufstieg, der Blüte und dem Niedergang der Schwerindustrie an der Ruhr. ¿HO 3¿ steht als Landmarke und Wahrzeichen auch für das wachsende Gewerbegebiet auf dem ehemaligen Industrieareal in Hattingen.

¿Nicht die ästhetische Wahrnehmung in den Vordergrund zu stellen, sondern die Frage, wofür der Turm, die Halle oder die Maschine stehen und was sie in 30 Jahren als möglicherweise letzte ihrer Art wert sind¿ ¿ diese Sichtweise hat Helmut Bönnighausen zielstrebig immer wieder vorgetragen. Und das nicht nur, wenn es um Industriekultur in Westfalen ging. Schon früh hat der in Schlesien geborene Denkmalpfleger Initiativen und Projekte in den ¿neuen Bundesländern¿, in Tschechien und Polen mit seinem Sachverstand unterstützt.

Bei der Restaurierung der acht Industriedenkmäler (in Dortmund, Hattingen, Waltrop, Witten, Bochum, Bocholt, Petershagen, Lage), die heute den Kernbestand des Westfälischen Industriemuseums bilden, hat Bönnighausen neben dem denkmalpflegerischen ¿Ideal¿ die jährlich knapp 400.000 Besucher im Blick behalten. So bieten die meisten Häuser heute neben der Aura des authentischen Ortes auch eine moderne Infrastruktur für kulturelle Veranstaltungen sowie Dauer- und Sonderausstellungen. Mehr als 250.000 Objekte aus der Sammlung ¿ von der Dampflok bis zur Postkarte, vom Einmachglas bis zum Eimerkettenbagger ¿ bilden dafür den Grundstock.

Trotz des Denkens in großen Dimensionen ist Bönnighausen realistisch geblieben: ¿Wir haben für das Industriemuseum bewusst Anlagen ausgesucht, die von ihrer Größe her auf Dauer zu erhalten sind und möglichst typische Wirtschaftzweige der industriellen Vergangenheit unserer Region widerspiegeln.¿ Gerade noch rechtzeitig vor der Pensionierung ist dem Museumsdirektor ein für dieses Konzept wichtiger ¿Coup¿ gelungen: Mit Unterstützung der Stadt Bocholt, der Stadtsparkasse, des Kreises Borken und des Landes konnte der Landschaftsverband die ehemalige Spinnerei Herding für die Erweiterung des LWL-Textilmuseums Bocholt kaufen. In dem industriegeschichtlichen Denkmal (Bj. 1907) in Sichtweite zur jetzigen Museumsfabrik wird das Westfälische Industriemuseum seine in Europa einmalige Sammlung wertvoller historischer Maschinen, Muster und Textilien erstmals in größerem Umfang präsentieren können.

Dem neuen Textilstandort wird Bönnighausen als ¿Ruheständler¿ einen Besuch abstatten ¿ wenn er gerade in der Nähe ist und Zeit hat. Die will der Vater einer Tochter und eines Sohnes endlich einmal für sich nutzen. Angeln am Ferienhaus in der Eifel steht ganz oben auf der Liste - und Reisen mit dem Wohnmobil nach Osteuropa, wo es noch jede Menge unentdeckte Industriekultur gibt.

Pressekontakt:
Frank Tafertshofer, Telefon: 0251 591-235 und Christiane Spänhoff, LWL-Industriemuseum, Telefon: 0231 6961-127
presse@lwl.org



Der LWL im Überblick:
Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit 20.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen, 21 Krankenhäuser, 18 Museen sowie zwei Besucherzentren und ist einer der größten deutschen Hilfezahler für Menschen mit Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklusive Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, dessen Aufgaben ein Parlament mit 125 Mitgliedern aus den westfälischen Kommunen gestaltet.



Foto zur Mitteilung
Helmut Bönnighausen.
Foto: LWL/Hudemann


Foto zur Mitteilung
Die Dortmunder Zeche Zollern II/IV im Schnee.
Foto: LWL/Hudemann


Foto zur Mitteilung
Das Schiffshebewerk Henrichenburg.
Foto: LWL/Holtappels


Foto zur Mitteilung
Die Henrichshütte Hattingen.
Foto: LWL



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