Wasserkraftnutzung in Westfalen

01.01.2008 Stefan Prott

Inhalt

Bei der Wasserkraft handelt es sich um eine der ältesten Energieformen, die auch in Europa entscheidende Spuren der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung hinterlassen hat. Auch die Industrialisierung in Nordrhein-Westfalen wurde besonders in der Bergischen und Märkischen Region durch die Wasserkraftnutzung geprägt. Neben Getreide- und Ölmühlen waren besonders die Schmieden und Schleifkotten Nutzer der heimischen Wasserkraft. Ende des 19. Jh.s wurden erste Wasserkraftwerke zur Elektrizitätserzeugung an westfälischen Gewässern errichtet. In den 1930er Jahren setzte der Bau von Talsperren zur Trink- und Brauchwasserbevorratung ein (s. Beitrag Wieneke), die häufig auch die Wasserkraft nutzten. Das so genannte Mühlensterben in den 1960er Jahren setzte besonders viele landwirtschaftliche Mühlen still, die der Konkurrenz der großen Mühlen nicht mehr gewachsen waren. Erst Ende der 1980er Jahre wurde das Interesse an der energetischen Nutzung dieser alten Mühlenanlagen geweckt. Vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Bedürfnisses zum Schutz des Klimas kann diese erneuerbare Energie, verantwortlich genutzt, eine nachhaltige und ökologisch verträgliche Form einer dezentralen Energieerzeugung sein. Als Nachfolgegesetz des Stromeinspeisegesetzes steht heute das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), das die Mindestvergütung für Strom u. a. aus Wasserkraft regelt und den Erneuerbaren Energien einen entscheidenden Beitrag zur Klima schonenden Energieversorgung in Deutschland zuweist. Gestützt durch das EEG steigt die Planungssicherheit für Wasserkraftvorhaben und lässt gerade im Segment der Klein- und Kleinstwasserkraftanlagen einen stetigen Zuwachs in den kommenden Jahren erwarten.
Abb. 1: Benachbarte Interessen der Wasserkraftnutzung (Quelle: EnergieAgentur.NRW)
Derzeit werden in Nordrhein-Westfalen knapp 600 GWh Strom pro Jahr aus Wasserkraft erzeugt (Netzeinspeisung und Inselbetrieb), was bedeutet, dass bereits 75% des derzeitig ermittelten Wasserkraftpotenzials an Fließgewässern genutzt werden. Die verbleibenden 25% gilt es in der nahen Zukunft im Konsens mit den so genannten benachbarten Interessen (Abb. 1) so weit wie möglich zu erschließen.

Dabei werden Neubauten von Wasserkraftwerken "auf der grünen Wiese" so gut wie ausgeschlossen. Der Ausbau der Wasserkraftnutzung wird vor allem bei der Reaktivierung von derzeit ungenutzten Altstandorten von statten gehen. Weiterhin sollen Wasserkraftpotenziale an bereits anthropogen genutzten Querbauwerken erschlossen werden, die bisher nicht durch Wasserkraft genutzt werden, aber auch in Zukunft in ihrer jeweiligen Funktion bestehen bleiben müssen, wie z. B. zur Trinkwassergewinnung, Gewässerregulierung etc. Hier bieten sich besonders Möglichkeiten auch zur gewässerökologischen Verbesserung durch die Herstellung der aufwärts gerichteten Durchgängigkeit für die Gewässerfauna. Darüber hinaus werden laufende Anlagen in ihren Betriebsabläufen optimiert, indem z. B. Regel- und Steuerungseinheiten eingesetzt werden, die dem Stand der Technik entsprechen. Ein bisher kaum beachtetes Energiepotenzial schlummert in Infrastrukturanlagen (Trink-, Brauch- und Abwassersysteme), bei denen durch den Einsatz bewährter Wasserkrafttechnik lohnende Energierückgewinnung betrieben werden kann (Tab. 1).
Tab. 1: Abschätzung des Wasserkraftpotenzials für NRW (Quelle: EnergieAgentur.NRW)
Bei dem so erzeugten elektrischen Strom handelt es sich um zurück gewonnenen Strom. Im eigentlichen Sinne wird dieser Strom nicht immer als Strom aus erneuerbaren Energiequellen bezeichnet, da der Wasservolumenstrom bereits vorab durch den Einsatz von elektrischer Energie hinaufgepumpt wurde und anschließend - eine Höhendifferenz herablaufend - Energie mittels Wasserkrafttechnik erzeugen kann.

Nach der vom nordrhein-westfälischen Ministerium für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz beauftragten "Studie zur Ermittlung und gewässerökologischen Bewertung von Stauanlagen in den Gewässern von NRW und zur Ausweisung von energetisch angepassten Nutzungsmöglichkeiten" existieren mehr als 13.600 Wehre in nordrhein-westfälischen Fließgewässern, von denen lediglich ca. 1.000 in direktem Zusammenhang mit einer aktiven oder einer ehemaligen Wasserkraftanlage stehen. Diese Standorte sind für eine Optimierung bzw. Reaktivierung zur CO2-freien Stromerzeugung von besonderem Interesse.

Beispielhaft werden im Folgenden aktuelle Wasserkraftprojekte beschrieben, die einerseits zur Erhöhung der Stromerzeugung aus Wasserkraft beitragen und andererseits die gewässerökologische Situation durch die Herstellung der aufwärts gerichteten Durchgängigkeit und/oder besondere Maßnahmen für den Fischschutz bzw. die abwärtsgerichtete Durchgängigkeit am jeweiligen Standort verbessern. Dabei wird deutlich, dass jedes Wasserkraftvorhaben als individuelles Projekt über standortspezifische Besonderheiten verfügt und die jeweiligen benachbarten Interessen von Seiten der Nutzer und der Schützer differenziert zu bewerten sind.
Abb. 2: Wasserkraftwerk Hamm (Foto: S. Prott)

Das Wasserkraftwerk Hamm

Das Wasserkraftwerk Hamm (Abb. 2), an der Lippe gelegen, wurde 2006 nach der Reaktivierung durch einen Privatinvestor in Betrieb genommen. Bereits 1904 wurde an diesem Standort die Wasserkraft zur Elektrizitätserzeugung genutzt. In den 1970er Jahren wurde das Kraftwerk stillgelegt, die Turbinen wurden ausgebaut und verkauft.

Erst durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) erlangte dieser Standort erneut Attraktivität, die zu verschiedenen Reaktivierungsüberlegungen führte. Die Besonderheit dieses Standorts liegt darin, dass das aus der Kaiserzeit stammende Maschinengebäude je hälftig die Pumpstation des Wasser- und Schifffahrtsamts Rheine und das reaktivierte Wasserkraftwerk beherbergt. An dieser Stelle wird das Kanalsystem regelmäßig mit Lippewasser aufgefrischt.

Bereits in der Planungsphase wurden Wasserbehörden und weitere benachbarte Interessen wie z. B. Naturschutz und Angelsport in die Reaktivierungsüberlegungen einbezogen. Das Interesse an der Realisierung dieses Projekts wurde auch beim nordrhein-westfälischen Ministerium für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz geweckt und führte zu einem Pilotprojektstatus.

Von besonderem Interesse ist der Fischschutz an dieser Anlage. Neben einem 15 mm-Feinrechen, der vor allem den Aalen das Einschwimmen in die Turbine verwehren soll, wurden auch eine oberflächennahe Fischabstiegshilfe sowie mehrere sohlnahe Aal-Bypässe bei der Planung berücksichtigt und angelegt. Mit einer installierten Leistung von 475 kW erwartet der Betreiber eine Jahresarbeit von 2,8 Mio. kWh. So werden pro Jahr knapp 800 Durchschnittshaushalte mit Strom versorgt und mehr als 1.800 t CO2 als lokaler Beitrag zum globalen Klimaschutz eingespart.
Abb. 3: Wasserkraftschnecke Rhede-Krechting (Foto: S. Prott)

Wasserkraftschnecke Rhede-Krechting

In Rhede-Krechting wurde im Mai 2007 die Wasserkraftschnecke der Stadtwerke Rhede (Abb. 3) offiziell in Betrieb genommen. An einem historischen Mühlenstandort, an dem das Wehr noch existierte, trieben die Stadtwerke Rhede den Gedanken zur Reaktivierung des Wasserkraftstandorts voran.

Dabei spielten mehrere Aspekte eine Rolle. Zum einen wollten die Stadtwerke vorhandene Energiepotenziale in ihrem Versorgungsbereich erschließen. Gleichzeitig sollte aber den Belangen der Gewässerökologie an der Bocholter Aa Rechnung getragen werden und zusätzlich der Bevölkerung das Thema Erneuerbare Energien erlebbar veranschaulicht werden. So wurde an dem Standort Krechting eine fischfreundliche Wasserkraftschnecke installiert, ein Raugerinne-Beckenpass als naturnahe Fischaufstiegshilfe realisiert und ein begleitendes Fischmonitoring eingeleitet, um die gewässerökologischen Auswirkungen der neuen Wasserkraftanlage samt Fischaufstiegshilfe zu dokumentieren. Letzteres geschieht in Zusammenarbeit mit der zuständigen Wasserbehörde und unter Beteiligung des örtlichen Angelsportvereins.

Mit einer installierten Leistung von 50kW sollen ca. 240.000 kWh Strom pro Jahr erzeugt und mehr als 150 t CO2 pro Jahr eingespart werden. Für die Stadtwerke Rhede stellt diese Investition in eine heimische und erneuerbare Energie eine ökonomische und ökologisch sinnvolle Investition dar, die dem Image der Stadtwerke nur zuträglich ist.

Die aktuelle Diskussion um den bereits merkbaren Klimawandel führt zu dem steigenden Interesse, sich auch mit kleinen Wasserkraftstandorten an der CO2-freien Stromerzeugung zu beteiligen. Grundvoraussetzung für ein solches Engagement ist die wirtschaftliche Darstellbarkeit. Ist dies gegeben, so werden häufig auch Belange der Gewässerökologie und des Denkmalschutzes sowie die weiterer benachbarter Interessen im Sinne der aktuellen gesellschaftlichen Diskussion realisiert.

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2008