Dortmund – Europas größter Kanalhafen

01.01.2007 Karl-Peter Ellerbrock

Kategorie: Verkehr

Schlagworte: Dortmund · Hafen · Schifffahrt · Güterverkehr

Dortmund ist Europas größter Kanalhafen. Mit einem Güterumschlag von annähernd 3 Mio. t pro Jahr und mit zehn Hafenbecken, ca. 40 Krananlagen mit einer Tragfähigkeit von bis zu 60 t, fünf Getreidegebläsen mit einer Stundenleistung von 130 t und fünf Mineralölleitungen, die 500 m3 Mineralöl in der Stunde transportieren können, zählt er auch zu den größten deutschen Binnenhäfen. Ursprünglich für Kohle und Stahl errichtet, ist der Hafen heute ein wichtiges Element des Logistikstandortes Dortmund. Baustoffe, Mineralöle und der zunehmende Containerumschlag liegen in der Statistik vorn. Nachdem die Erzimporte in Höhe von rd. 2,5 Mio. t jährlich seit 1997/98 (Tab. 1) weg gebrochen sind, hat sich der Gesamtumschlag bei etwa 2,8 Mio. t stabilisiert, was - rechnet man die Erzumschläge während der "Stahlzeit" heraus - im Vergleich zu 1994/95 einen Zuwachs bei den übrigen Gütern von etwa 10% bedeutet. Zusammen mit der Informationstechnologie und der Mikrosystemtechnik ist die Logistikbranche mit über 20000 Beschäftigten im Bezirk der IHK zu Dortmund der wichtigste Motor des Strukturwandels in der Region.
Abb. 1: Das Dortmunder Hafenamt um 1900 (Quelle: Westfälisches Wirtschaftsarchiv, Dortmund)

Der Dortmunder Hafen wurde am 11. August 1899 durch Kaiser Wilhelm II. feierlich eingeweiht. Die ersten Pläne, Westfalen an die Nordsee (Zuiderzee) anzubinden, reichen aber bis in das 18. Jh. zurück. Der Bau des Max-Clemens-Kanals wurde jedoch nicht bis zur Vechte realisiert. Mit der fortschreitenden Industrialisierung des rheinisch-westfälischen Wirtschaftsraumes nahm schließlich der Druck auf die politischen Entscheidungsträger zu. Das 1856 von fortschrittlichen wirtschaftlichen Kreisen in Dortmund konstituierte "Canal-Comité" trug den Kanalgedanken erstmals in den westfälischen Provinziallandtag. 1863 wurde der "Verein für den westfälischen Kanal" von einem Personenkreis gegründet, der nahezu identisch mit den Protagonisten der im April 1863 gegründeten Dortmunder Handelskammer war, die fortan zu einem entschiedenen Fürsprecher des Kanalbaus wurde.

Abb. 2: ... und heute (Quelle: Dortmunder Hafen AG)

Das Kanalprojekt wurde zu einem Kristallisationspunkt divergierender wirtschafts- und strukturpolitischer Interessen. Vor dem Hintergrund der Debatte über Deutschlands Weg vom Agrar- zum Industriestaat sahen die ostelbischen Großagrarier ihre Absatzmärkte im rheinisch-westfälischen Industriegebiet gefährdet und befürchteten einen weiteren Abbau ihres ohnehin im Zuge der Ost-West-Binnenwanderung schwindenden landwirtschaftlichen Arbeitskräftepotenzials. Sie befanden sich dabei in seltenem Einklang mit der unmittelbar angrenzenden westfälischen Landwirtschaft mit deren Präsidenten von Schorlemer-Alst an der Spitze. Die Industrie Schlesiens, vertreten durch die Breslauer Handelskammer, sorgte sich im Falle einer Anbindung des Ruhrgebietes an die Elbe um ihren traditionellen Berliner Absatzmarkt, die Saarwirtschaft mit ihrem Wortführer, dem Freiherrn von Stumm, erahnte eine unliebsame Stärkung der schwerindustriellen Konkurrenz im Ruhrgebiet.

Die politische Durchsetzung erfolgte daher erst im Jahr 1886, als auf Drängen der Dortmunder Montanindustrie der Bau des Dortmund-Ems-Kanals (DEK) parlamentarisch beschlossen wurde. Bereits in den ersten zehn Jahren waren 75% sämtlicher umgeschlagener Güter Produkte bzw. Rohstoffe der Montanindustrie. Die größte Bedeutung erlangte der Kanal für die Erzversorgung der Dortmunder Stahlwerke um die Mitte der 1920er Jahre, als über 80% aller Erzlieferungen über die Verkehrsachse Emden-Dortmund abgewickelt wurden. Neben den sog. Schwedenerzen waren Erze aus Spanien, Afrika und Kanada auf dem Vormarsch.

Kanal und Hafen waren aber auch für die Lebensmittelversorgung der heranwachsenden Ruhrgebietsgroßstädte von besonderer Bedeutung, deren Einwohnerzahl allein zwischen 1895 und 1905 von 1,5 Mio. auf 2,5 Mio. anstieg. Kaiser Wilhelm II. wies in seiner Ansprache zur Hafeneinweihung ausdrücklich darauf hin, dass der Güterverkehr auf dem Kanal "vor allem auch der Landwirtschaft zugute kommt." Obwohl dies eher eine politische Aussage war, um dem Protest der ostelbischen Großagrarier gegen die  knapp 80 Mio. M teure Strukturinvestition für die Ruhrindustrie die Spitze zu brechen, waren Mehl, Gerste, ein wichtiger Rohstoff für die westfälischen Brauereien, Weizen oder Roggen noch im frühen 20. Jh. wichtige Umschlaggüter. Die Masse der Getreideimporte kam vor dem Ersten Weltkrieg von der Krim oder über die russischen Ostseehäfen bzw. über das Weiße Meer, aber auch Nordamerika, die La-Plata-Staaten, Rumänien, Bulgarien oder Marokko tauchten in größerem Umfang als Lieferanten auf.

Der weitere Ausbau des DEK blieb ein Streitpunkt unterschiedlicher regionalwirtschaftlicher Verkehrsinteressen. Seit der Vollendung des Mittellandkanals im Jahr 1938, dessen Bau in der nationalsozialistischen Rüstungspolitik eine hohe Priorität genoss (Anbindung der Reichswerke Hermann Göring) und den weiteren Ausbau des DEK zunächst verhinderte, verbindet der DEK die Rhein- und Rheinmündungshäfen, die deutschen Nordseehäfen, den Großraum Berlin und nach Fertigstellung des Elbe-Lübeck-Kanals die Ostsee. Damit ist der DEK ein wichtiges Bindeglied im transeuropäischen Verkehrsnetz.

Tab. 1: Güterumschlag im Dortmunder Hafen 1993-2005 (in Tsd. t) (Quelle: www.dortmunder-hafen.de)

Die Umschlagszahlen des Dortmunder Hafens sind ein zuverlässiger Seismograph für die konjunkturelle Entwicklung von Eisen und Stahl im östlichen Ruhrgebiet. Wir erkennen starke Einbrüche nach 1929, eine Hochkonjunktur während der nationalsozialistischen Rüstungs- und Kriegswirtschaft, den Zusammenbruch nach 1945 und das "Wirtschaftswunder" der "langen 1950er Jahre". Mit 6,8 Mio. t erreichte der Güterumschlag im Dortmunder Hafen im Jahr 1960 seinen absoluten Höchststand, was aber die tiefe Strukturkrise bei Kohle und Stahl nur verdeckte. In langer historischer Perspektive konnte der Kanal die Kostennachteile des östlichen Ruhrgebiets gegenüber der Rheinschiene wohl dämpfen, nicht aber, wie ursprünglich einmal erhofft, gänzlich ausgleichen. Angesichts der Ende der 1990er Jahre um etwa 80 DM pro Tonne Rohstahl gegenüber der Rheinschiene höheren Selbstkosten der Dortmunder Stahlwerke war nach den großen Fusionen von Krupp und Hoesch und dann von Krupp-Hoesch und Thyssen, die nach der Erzielung von Synergien durch Kostensenkung trachteten, die Stilllegung der Dortmunder Hochöfen und Stahlwerke im April 2001 nicht mehr zu vermeiden. Seit dem wird im Dortmunder Hafen kein Eisenerz mehr umgeschlagen (Tab. 1).

Tab. 2: Kennzahlen der Verkehrsträger (Quelle: K.-P. Ellerbrock 1999, S. 221)

Kanal und Hafen haben sich, wie einleitend beschrieben, längst auf eine Zukunft ohne montanindustrielle Basis eingerichtet; und dies ist mit Blick auf die Entwicklung des Gesamtgütertransportaufkommens nicht ohne Perspektive: Zwar lag 2005 der Straßengüterverkehr mit 394 Mrd. Tonnenkilometern (tkm) noch klar vor der Eisenbahn (89,3 Mrd tkm) und der Binnenschifffahrt (65,7 Mrd. tkm) in Führung, die Wachstumstrends sind aber gegenläufig. Nach den Mitteilungen des Statistischen Bundesamtes haben 2005 die Luftfahrt (+8,5%) und die Binnenschifffahrt (+1,4%) beim Gütertransport zugelegt, während der Straßengüterverkehr (-0,7%) und die Bahn (-1,5%) rückläufige Ergebnisse erzielten. Hinzu kommt, dass die Binnenschifffahrt neben ökologischen Vorteilen gegenüber den anderen Verkehrsträgern nicht nur beim Energieverbrauch pro Tonnenkilometer deutlich niedrigere Werte erreicht, sondern auch bei den anfallenden externen Kosten sowie Unfallkosten wesentlich bessere Kennzahlen aufweist. Nach Berechnungen des Instituts für Verkehrswissenschaft der Universität Münster, die aus der Zeit vor der Einführung der LKW-Maut stammen, ergaben sich für die einzelnen Verkehrsträger die in Tab. 2 dargestellten Kennzahlen.

Vor dem Hintergrund dieser Zahlen sollten die verkehrspolitischen Rahmenbedingungen neu überdacht werden, denn unser Mobilitätsdilemma besteht darin, dass sowohl bei einer Verringerung der Mobilität als auch bei einer zu starken Ausweitung ein volkswirtschaftlicher Wohlstandsverlust droht.

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2007