Die Hochheide ''Neuer Hagen'' am sauerländischen Rothaarsteig

01.01.2009 Reinhard Köhne

Inhalt

Zwischen Winterberg-Küstelberg und Olsberg-Bruchhausen durchquert der Rothaarsteig bei Winterberg-Niedersfeld das ausgedehnte Naturschutzgebiet "Neuer Hagen". Der Kammweg auf der Wasserscheide zu Rhein und Weser ermöglicht ungestörte Fernblicke auf die umliegenden Höhenzüge des Astengebirges und des Willinger Uplandes. Vom Aussichtspunkt "Clemenskreuz" am Südrand der Hochheide fällt der Blick über den sanft nach Norden abfallenden Rumpfflächenrest, auf die langgestreckten Hö­henrücken von "Langenberg" und "Hegekopf", mit 843 m die höchsten Erhebungen des Südergebirges. Im  Südwesten zählt der "Kahle Asten" (841 m) zu den bekannteren Achthundertern des rechtsrheinischen Schiefergebirges.

Abb. 1: Heidschnucken am Langenberg (Foto: R. Köhne)

Blick in die Kinderstube des Gebirgssockels

Der Diabassteinbruch am Südrand der Hochheide eröffnet Einblicke in die Entstehung des Gebirgssockels. Das geologische Schaufenster zeigt, wie Diabaslinsen mit intensiver thermischer Aufbereitung der kontaktierten Tonschiefer in die Eisenerze eingelagert sind.

Vor 300 Mio. Jahren kündigte der untermeerische Vulkanismus die beginnende Gebirgsbildung an, welche die tonig-sandigen Ablagerungen des De­vonmeeres zu einem Gebirgsblock auffaltete, der bis vor 50 Mio. Jahren zu einem flachen Rumpfgebirge abgetragen wurde. Lediglich der harte Diabas hat im westlichen Bereich der Hochheide in Form von Klippenzonen der Abtragung widerstanden. Das eiszeitliche Klima der letzten 2 Mio. Jahre mit linienhafter Erosion förderte die Talbildung, die rückschreitend mit kleinen Quellbächen die Hochfläche anschneidet. Die Gesteine sind zu Braunerden und wasserstauenden Pseudogleyen verwittert.

Ein landschaftlicher Dreiklang: Heide – Moor – Wald

Von den 76 ha des Naturschutzgebietes (NSG) entfallen 17 ha auf Moore. In den trockenen Bereichen dominiert die Besenheide mit Heidel- und Preiselbeere. Im östlichen Teil des NSG hat sich, entlang eines Quellhorizontes, auf den staunassen Tonschiefern ein Niedermoorbereich, mit zahlreichen Torfmoosen und Wollgras, ausgebildet. Die po­tenzielle natürliche Vegetation in Form von artenarmen Rotbuchenwäldern ist bereits im Mittelalter durch Waldrodung und Kohlholzgewinnung verschwunden. Die Freifläche der Hochheide wird überwiegend von Fichtenforsten eingerahmt, die aus den Aufforstungen der 1930er Jahre hervorgegangen sind. Niedrige Säurewerte in den degradierten Heideböden begüns­tigten den Baumartenwechsel von der Rotbuche zur Rotfichte, die sich allerdings als sehr sturmanfällig erwiesen hat.

Feuchtkühles Hochlandklima

Durch die Luvwirkung der auf der Nordwestabdachung des Südergebirges aufsteigenden Westwinde kommt es zu hohen Jahresniederschlägen bis zu 1.440 mm. Höhenlage und Stau feuchter Meeresluft mit vorherrschenden Südwestwinden lassen wegen der niedrigen Jahresmitteltemperatur von 5°C an 80 - 110 Tagen Schneefall erwarten. Wegen des feuchtkühlen Klimas mit kurzer Vegetationszeit vermutete die pflanzensoziologische Forschung noch bis in die 1950er Jahre eine natürlich baumfreie Hochheidegesellschaft mit Eiszeitrelikten.

Naturschutz rettet die Hochheide

Noch 1831 zeigte die Nutzflächenübersicht des Urkatasters ausgedehnte Heideflächen (ca. 175 ha in der Gemeinde Niedersfeld), die bis zur Übergabe des Grönebacher Teils der Heide an den Sauerländischen Gebirgsverein im Jahre 1936 größtenteils mit Fichte aufgefors­tet wurden. Die Restfläche von 76,7 ha wurde 1955 als Naturschutzgebiet unter Schutz gestellt und 1965 erweitert. Mit der Aufgabe der extensiven Nutzung der benachbarten Taldörfer Hildfeld und Niedersfeld durch Hude und Heidha­cken in den 1950er Jahren begann die natürliche Wiederbewaldung auf den trockeneren Standorten mit Pioniergehölzen wie Birke, Zitterpappel, Weide und Eberesche. Fichte und Kiefer wanderten durch Anflug aus den umgebenden Nadelwäldern ein. Durch die natürliche Waldsukzession wurde die These einer ursprünglich waldfreien Offenlandschaft an­schaulich widerlegt. Mit der Ablösung des Rechtes auf Heidhacken endete eine jahrhundertelange Wirtschaftsweise, die kons­tante Rahmenbedingungen für das Biotopensemble gewährleistet hatte. Durch die Aufgabe der agraren Nutzung kam die der Hochheide angepasste Flora und Fauna in Bedrängnis. Das Aussterben von Auer- und Birkhuhn, Heidelerche und des Ziegenmelkers ist auf den ökologischen Umbruch der Aufforstung mit Fichte im Umland und Störungen durch zunehmende touristische Aktivitäten zurückzuführen.

Historische Landnutzung erhält die Hochheide

Pflegemaßnahmen, wie Gehölzentfernung, maschinelles Plaggen sowie Schaf- und Ziegenbeweidung (Abb. 1), verhindern seit den 1980er Jahren erfolgreich die Überalterung der Zwergsträucher und die zunehmende Vergrasung. Die Öffnung der Heideflächen für Besucher von August bis Mitte September zur traditionellen Beerenlese hat zur Akzeptanz der Schutzmaßnahmen beigetragen.

Abb. 2: Niggenhagen – Raumnutzung im Spätmittelalter (Entwurf: R. Köhne; Quellen: Karte Herzogtum Westfalen 1657/1670, Karte des Hochsauerlandes von 1577, Nutzflächenübersicht der Steuergemeinde Niedersfeld zum Urkataster 1831, Luftbildkarte Hegekopf 1996)

Montanweiler erschließen den Rothaarkamm

Der Ortsname "Nova indagine" (Niggenhagen, Abb. 2) findet sich lediglich im Jahre 1320. Auf späteren Karten von 1577 und 1670 wird der Flurbereich "Neu Hage" bereits als waldarme Offenlandschaft dargestellt. Auch die Nutzflächenübersichten des Urkatasters von 1831 vermitteln die Raumnutzung einer Heidelandschaft und eines als Viehhude genutzten Feuchtgebietes mit Laubwaldrelikten. Der Flurname "Neuer Hagen" beruht auf der Aussonderung durch einen älteren Markenverband, an dem der Freiherr von Fürstenberg-Gaugreben in Bruchhausen sowie die Gemeinden Grönebach, Hildfeld und Niedersfeld beteiligt waren. Die Siedlung mit zwei oder drei Wohnpodien und heute verstürzten Trockenmauern lag windgeschützt am Nordrand der Heide in der Quellmulde des Haselbachs (740 m). Keramikfunde belegen die Entstehung zu Beginn des 12. Jh.s. Das Kleinrelief in Form von flachen höhenlinienparallelen Ackerterrassen und Lesesteinhaufen in der Heidefläche und im Wald nahe den Hausplätzen überliefert die zeitweilige Nutzung als Ackerland. Meilerplätze und das Hüttenregister Wiemeringhausen von 1558 - 1561, in dem die Entlohnung von vier Köhlern auf dem Niggenhagen mit Roggen und Speck verzeichnet ist, vermitteln das gewerbliche Nutzungsspektrum.

Fortschrittliche Metallurgie in 700 m Höhe

Holzkohle ist auch ein wichtiger Standortfaktor für den Eisenhüttenplatz, dessen Schlackenhalde 650 m talabwärts am Haselbach liegt (Abb. 2). Ein 150 m langer Obergraben sowie ein Hangkanal, der in 320 m Entfernung über einen flachen Felssporn hinweg das Einzugsgebiet der Hoppecke erschließt, lässt einen Floßofen mit wasserradbetriebenem Blasebalg vermuten. Die Hütte wird urkundlich um 1600 im Besitz der von Gaugreben in Bruchhausen erwähnt. Das Eisenerz lieferten die im Zuge des Grünsteinzugs hydrothermal entstandenen Brauneisensteinlager im Fredeburger Schiefer am Südrand der Heide. Floßöfen als technische Innovation erzeugten seit dem 13. Jh. im Unterschied zur älteren Rennofentechnologie mit höheren Temperaturen Roheisen. Die aufwändigen Wasserzuleitungen erscheinen zunächst wenig verständlich. Ein Hüttenstandort am Zu­sammenfluss von Hoppecke und Ha­selbach etwa 200 m unterhalb wäre optimal gewesen, war aber dem Hüttenbetreiber wegen der dort querenden Kölnisch-Waldeckschen Territorialgrenze nicht zugänglich. Der am Westrand des Neuen Hagen verlaufende alte Höhenweg von Winterberg über Olsberg nach Brilon eröffnete eine Verbindung zu den Hammerwerken im "Assinghauser Grund" an der oberen Ruhr.

Ursachen des Wüstfallens

Das Ende des Kleinweilers "Niggenhagen" liegt im Dunkeln. Ursachen können in einer Energiekrise durch Übernutzung des Waldes oder Erschöpfung der Erzlagerstätte liegen. 1562 ist der Bau einer Eisenhütte etwa zwei km östlich unter dem "Alten Hagen" im Ittertal mit der Auflage verbunden, den Schmelzofen nur mit Holzkohle aus den Wäldern außerhalb der Grafschaft Waldeck zu versorgen. Denkbar wäre auch die Aufgabe der landwirtschaftlichen Nutzung des Höhenweilers durch die Klimaverschlechterung im 14. Jh. oder Zerstörung infolge territorialer Fehden wegen des unklaren Grenzverlaufs im 16. Jh.

Die agrare Folgenutzung der Flurwüstungen durch die Nachbardörfer sicherte über 600 Jahre den Erhalt der Hochheide. Die aktuellen Nutzungsimpulse kommen aus dem Artenschutz und dem Tourismus. Die Verflechtung ge­werblicher und agrarer Motive ist typisch für die mittelalterliche Besiedlung des Rothaarkamms. Als Wildländer extensiv genutzte Hochheiden waren noch im 19. Jh. auf den Höhenrücken des Sauerlandes weit verbreitet. Die wenigen von Aufforstung verschonten Reliktheiden am "Kahlen Asten" bei Winterberg und am "Ettelsberg" bei Willingen eröffnen die Möglichkeit, in einem lebendigen Landschaftsmuseum die ökologischen Folgen menschlicher Eingriffe und den Kulturlandschaftswandel anschaulich zu verdeutlichen.

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2009