Potenzielle natürliche Vegetation in Westfalen

06.07.2015 Richard Pott

Kategorie: Naturraum

Schlagworte: Westfalen · Vegetation · Wald

Reinhold Tüxen (1899-1980) führte im Jahre 1956 den Begriff der Potenziellen Natürlichen Vegetation (PNV) ein. Dieser beschreibt einen hypothetisch-konstruierten Zustand einer natürlichen Vegetation, die vorherrschen würde, wenn die Landnutzung durch den Menschen aufhörte. Unsere heutige Vegetation ist das Produkt einer langen Folge von natürlichen Prozessen und menschlicher Einwirkungen. Sie hat sich auch in Westfalen - wenn man von den baumfreien Hochmooren und Gewässern absieht - aus einer ursprünglichen Laubwaldlandschaft entwickelt, wobei der Wald mit zunehmender Siedlungs- und Ausbautätigkeit des Menschen immer mehr an Areal einbüßte. Der Beginn dieser Entwicklung geht auf die ersten bäuerlichen Aktivitäten in der Jungsteinzeit zurück. Seither wurde der Mensch zum Hauptfaktor der Landschafts- und Vegetationsgestaltung und unter seiner Einwirkung entstand im Laufe von mehr als sechs Jahrtausenden  das heutige, von vielfältigen Wirtschaftsformen geprägte Vegetationsmosaik.

Abb. 1: Potenzielle natürliche Vegetation des Münsterlandes und angrenzender Gebiete (Quelle: Geographisch-landeskundlicher Atlas von Westfalen)

Das aktuelle Bild der potenziellen Buchenwaldlandschaften im Bereich des Kartenausschnittes (Abb. 1) markiert deutlich die Höhenzüge des Teutoburger Waldes und des Weserberglands im Norden, die Egge und die Paderborner Hochfläche im Osten sowie die Haar und die umfangreichen Lössbörden des Hellwegraumes und des Ruhrgebietes sowie das nördliche Sauerland, die im Süden die Westfälische Tieflandsbucht umrahmen.

Wie wir wissen, ist die Westfälische Bucht ein saalekaltzeitlich überformtes Kreide-Schichtstufenbecken. Dementsprechend wird ihre Oberflächengestalt im wesentlichen von zwei Formengruppen geprägt, den Sedimenten der Oberkreide und den Ablagerungen des Pleistozän. Die Großformen und der Charakter der Bucht als Schichtstufenlandschaft bestimmen Lagerung, Verteilung und fazielle Ausbildung der Kreideschichten. Ihre Geländestufen umgeben ellipsenförmig einen zentralen Kern und bedingen somit eine Gliederung der Westfälischen Bucht von innen nach außen: Der zentrale Kern besteht aus den kretazischen Ablagerungen des Campan und bildet als "Kernmünsterland" mit seinen schweren und feuchten Lehmböden eine besondere naturräumliche Einheit. Hier ist das Wuchsgebiet der subozeanischen Stellario-Carpinetum-Eichen-Hainbuchenwälder, die auf stau- und grundwasserfeuchten Lehmböden stocken. Diese relativ nährstoffreichen Böden können wegen ihrer stagnierenden Feuchtigkeit von der Buche (Fagus sylvatica) nicht oder nur noch in untergeordneter Position eingenommen werden. Überall dort, wo der Wassergehalt des Lehmbodens nachlässt, gewinnt die Buche die Überhand, und auf den trockenen Standorten kommt es je nach Substrat zur Ausbildung von Waldmeister- oder Flattergras-Buchenwäldern. Auch die Tiefdrainage einiger Gebiete hat diesen Effekt: Die Eichen-Hainbuchenwälder, die hier an und für sich auch auf trockenen Böden gedeihen können, werden durch den Konkurrenzdruck der sich ausbreitenden Buche auf die feuchten Lehmböden zurückgedrängt. Dieses Phänomen kennzeichnet deutlich die beherrschende Position der Buche in ihrem klimatischen Optimalbereich hier bei uns in Mitteleuropa.

Abb. 2: Eichen-Hainbuchenwald vom Typ des Stellario-Carpinetum (Foto: R. Pott)

In der Baumschicht des Stellario-Carpinetum nehmen Hainbuche (Carpinus betulus) und Stieleiche (Quercus robur) nach Stetigkeit und Menge den ersten Platz ein, die Traubeneiche (Quercus petraea) ist dagegen niemals zu finden. Esche (Fraxinus excelsior), Feldahorn (Acer campestre) und Vogelkirsche (Prunus avium) sind immer beteiligt. In ärmeren Ausbildungen, auf sandigen Lehmböden, gehört auch die Buche zu den steten Baumarten, hier fehlen die oben genannten Begleitarten der Gehölze, und das macht diese Typen unterscheidbar (Abb. 2).

Die Buchenwälder der Westfälischen  Bucht und ihrer submontanen Randgebiete sind entweder bodensaure Hainsimsen-Buchenwälder von Typ des Luzulo-Fagetum auf Sandstein oder ausgehagertem Löss, oder nährstoffreiche Flattergras-Buchenwälder (Milio-Fagetum) auf kalkhaltigem Löss. Der Waldmeister-Buchenwald (Galio odorati-Fagetum) ist die beherrschende Waldgesellschaft der Kreidekalkgebiete der Baumberge, der Beckumer Berge sowie des randlichen Berglandes. Er ist hier nicht nur an submontane Stufen gebunden, sondern besiedelt auch, soweit die Böden nicht vernässt sind, die sanftwelligen collinen und planaren Lagen der Kreidemergelschichten im Inneren der Westfälischen Bucht. Ausgeglichene Feuchtigkeitverhältnisse beanspruchen diese Buchenwälder, wo die Buche unangefochten die Baumschicht dominiert. Räumlich und zeitlich in das sommerliche Schattenregime der Buche eingenischte Frühlingsgeophyten wie Hohler Lerchensporn (Corydalis cava), Bärlauch (Allium ursinum), Buschwindröschen (Anemone ranunculoides und A. nemorosa) zeigen im Bergland des Teutoburger Waldes beispielsweise sehr schön die expositionsbedingten Gesellschaftsausprägungen sonnenabseitiger Lagen. Lössbedeckte Mittelhänge und kolluviale Hangfüße der Kreidekalkgebirge sind von farnreichen Gesellschaftsausprägungen des Waldmeister-Buchenwaldes vor allem mit dem herdenbildenden Eichenfarn (Gymnocarpium dryopteris) geprägt. Der Flattergras-Buchenwald mit seinen wichtigen Kennarten Milium effusum, Poa nemoralis, Hedera helix, Oxalis acetosella und Polygonatum multiflorum nimmt eine standörtliche und floristische Mittelstellung zwischen den ärmeren Eichen-Hainbuchenwäldern und den Buchenwäldern ein. Seine natürliche Domäne waren die Lössbörden und die intramontanen Lössfelder auf Parabraunerden bis hin zu mäßig basenhaltigen Pseudogleyen. Diese Buchenwälder sind Siedlungsgebiet seit dem frühen Neolithikum und bis auf wenige Restwälder seit Jahrtausenden in Ackerland umgewandelt worden.

Auch die Auen- und Niederungswälder an Ems und Lippe und deren Nebenflüssen sind vielerorts und größtenteils in Wirtschaftsgrünland umgewandelt. Artenarme Eichen-Ulmenwälder dürften hier als potentieller natürlicher Waldtyp einen Hartholzauenwald bilden, wie wir ihn noch an wenigen Stellen an einigen Emsabschnitten sehen können. Dieser wird überwiegend von der Stieleiche (Quercus robur) beherrscht, an etwas günstigeren Stellen können auch Esche (Fraxinus excelsior) und Feldulme (Ulmus carpinifolia) beigemischt sein, häufiger jedoch die Hainbuche (Carpinus betulus). Die kleineren Niederungsbäche sind meist von Erlen (Alnus glutinosa) mit der Traubenkirsche (Prunus padus) gesäumt, die auf Sandböden in den Flussniederungen über Nassgleyen in artenarme Traubenkirschen-Erlen-Eschenwälder vom Typ des Pruno padi-Fraxinetum übergehen.

Dies ist vor allem in der Senne zu beobachten, wo zahlreiche Ems-Zuflüsse aus den Kreidekalken des Teutoburger Waldes entspringen und nährstoff- und basenreiches Grundwasser heranführen. Ihre Auen beherbergen - zum Teil 10 bis 15 Kilometer von der Kalkkette entfernt - über Sandböden artenreiche Traubenkirschen-Erlen-Eschenwälder.

Die Sandgebiete der Westfälischen Bucht schließlich beherbergen bodensaure Eichenmischwälder mit Birken-Eichenwald (Betulo Quercetum) und Buchen-Eichenwald (Fago-Quercetum). Das Verbreitungsgebiet dieser beiden säuretoleranten Waldgesellschaften ist in groben Zügen mit dem pleistozänen Geestbereich des "Sandmünsterlandes" identisch. Den unterschiedlichen Bodenverhältnissen entsprechend wechseln sie im Gelände mosaikartig miteinander ab. Auf anlehmigen Sandböden kann die Buche noch wachsen, jedoch ist im Vergleich zu den reinen Buchenwäldern ihre Alleinherrschaft gebrochen, und es kommt zur Ausbildung des Buchen-Eichenwaldes, in dem die Buche mit größeren Anteilen von Trauben- und Stieleichen vergesellschaftet ist. Die reinen Quarzsandböden, die zudem noch größtenteils podsoliert sind, reichen qualitativ als Buchenstandorte nicht mehr aus. Hier wächst der Birken-Eichenwald.

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2007, Aktualisierung 2015