Der Wandel im Bestattungswesen

01.01.2009 Carola Bischoff

Kategorie: Gesellschaft und Politik

Schlagworte: Münster · Wald · Bestattungswesen

weitere Autorin: Catharina Wehlburg

Inhalt

Das Bestattungsritual im Übergang

In der heutigen individualisierten Gesellschaft haben sich die Bestattungsgewohnheiten mit dem Bedeutungsverlust der bürgerlichen Familie und der Zunahme von Single- und Zwei-Personen-Haushalten sowie der zunehmenden beruflichen Mobilität geändert. Die bisweilen monumentalen Familiengräber des bürgerlichen 19. Jh.s haben heute meist nur noch kulturhistorischen Wert. In den letzten Jahrzehnten ist eine deutliche Zunahme zur Rasenbeisetzung zu verzeichnen. Hierbei handelt es sich aus bestattungshistorischer Sicht um eine Massenbeisetzung, also eine anonyme Beisetzung ohne Namens- bzw. Gedächtnistafel. Dies löst für die Hinterbliebenen die Verbindung zu einem individuellen Ort der Bestattung und der Erinnerung auf (Fischer 2003, S. 226). Bundesweit lässt sich ein vermehrtes Aufkommen v. a. in städtischen sowie überwiegend protestantisch geprägten Gebieten verzeichnen.

Durch den Wandel der Bestattungsrituale hat sich auch das Erscheinungsbild der Friedhöfe in jüngerer Zeit entscheidend verändert. Die Anzahl ungenutzter Friedhofsflächen steigt nicht nur durch rückläufige Bestattungszahlen, sondern auch durch die geringeren Platzansprüche der neuen Formen von Rasen- und Urnengemeinschaften, so dass der Bedarf an Friedhofsfläche pro Einwohner nach unten korrigiert werden kann. Die traditionellen "Grabsteinlandschaften" werden immer stärker von großen Rasenflächen geprägt. Die freiwerdenden Räume stehen für neue Nutzungen zur Verfügung, so dass zukünftig neben der kulturhistorischen Bedeutung auch eine parkähnliche Funktion sowie Rückzugsmöglichkeiten für Flora und Fauna entstehen können (Fischer 2003, S. 227).

Als weiteres Merkmal der Veränderungen im Bestattungswesen wird nun der öffentliche Raum verstärkt genutzt. Ein Beispiel hierfür sind die Kreuze an der Straße, die sowohl ein Zeichen individueller und kreativer Trauerarbeit in einer mobilen Gesellschaft als auch eine öffentliche Mahnung darstellen. Der Tod markiert auf diese Weise die Landschaft.

Ein anderes Beispiel ist das digitale Totengedenken auf Internetplattformen. In virtuellen Gedenkstätten, wie der "Hall Of Memory" oder der "World Wide Cemetery", wird Besuchern die Möglichkeit gegeben, elektronische Botschaften zu hinterlassen sowie einen Einblick in das Leben des Verstorbenen zu bekommen. Hierfür können biographische Hinweise, private Dokumente (z. B. Tagebuchaufzeichnungen), Fotos, Videos, Musik und andere Erinnerungsstücke betrachtet werden. Diese Art des Totengedenkens wird überwiegend von der Bildungselite genutzt (Fischer 2003, S. 237–238).

Nach Ansicht des Schweizer Soziologen Hans Geser können virtuelle Gedenkstätten als "Frühindikatoren einer neuen Trauerkultur" betrachtet werden. Das Internet ist ein Raum, in dem sowohl der tote Körper als auch der Ort der eigentlichen Bestattung ohne Belang sind. Ferner können die Stadien der Trauer im Gegensatz zu Grabmälern flexibel angepasst werden.

Ein Grund für diese Art von Totengedenken kann das Versagen herkömmlicher, lokal gebundener Formen der Bestattungs- und Trauerkultur sein. Es löst die bisherige, bipolare Ausrichtung von Trauerfeiern zwischen Redner und Trauergemeinschaft auf und gestattet neue Formen der emotionalen Anteilnahme. Allgemein ist eine zunehmende Entritualisierung festzustellen, also ein Nachlassen aller gemeinschaftsbezogenen Riten anlässlich des Todes, welches verbunden ist mit einer Individualisierung und Privatisierung von Trauerbekundungen und der Abkehr vom Friedhof als traditionellem Ort der Trauer (Fischer 2003, S. 232). Doch trat dieser Wandel nicht abrupt ein, sondern entwickelte sich aus konventionellen Bestattungen und der wachsenden Möglichkeit, einen eigenen Aktionsraum zu gestalten (u. a. eigene Musikbeiträge, Bemalung des Sarges). Einen großen Anteil haben hieran u. a. die Hospizbewegung sowie AIDS-Selbsthilfegruppen, da Krankheit ein größeres Bewusstsein für Tod und Bestattung schafft. Der sterbende Mensch und sein Sterbeprozess rückten dabei immer mehr in den Mittelpunkt.

Trotz früher gesellschaftlicher und kultureller Wandlungsprozesse haben sich die Friedhöfe in Deutschland bis Ende der 1990er/Anfang der 2000er Jahre kaum verändert. Nirgendwo in Europa unterlagen und unterliegen Friedhof und Grabmal so starken Regulierungen wie in Deutschland. Deshalb forderte die AFD (Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal) mehr Flexibilität und Raum für neue und innovative Beisetzungsund Friedhofsformen: einen "bürgernahen Friedhof". Friedhöfe sollten stärker als Kulturraum sowie als Grün- und Freifläche betrachten werden.

Um dies zu erreichen, sind rechtliche Änderungen ein grundlegender Baustein. Durch die Novellierung am 1. September 2003 schaffte das Bestattungsgesetz NRW mehr Flexibilität und Freiraum für individuelle Regelungen. So bieten die Änderungen in §1 Abs. 4 und §7 Abs. 2 nun die Möglichkeit der Privatisierung auf kommunalen oder kirchlichen Friedhöfen sowie die Einbeziehung Dritter bei der Errichtung und dem Betrieb der Friedhöfe. Außerdem steht der Wille des Verstorbenen im Vordergrund. Dies eröffnet den verschiedenen Glaubensgemeinschaften die Möglichkeit, eigene Begräbnisstätten zu errichten, die den religiösen Anforderungen entsprechen – angefangen von der rituellen Waschung des Verstorbenen über die Bekleidung des Leichnams mit weißen Tüchern (ohne Sargzwang), die schnellstmögliche Beerdigung bis zur Ausrichtung des Gesichts des Toten Richtung Mekka.

Der Waldfriedhof Lauheide für die Städte Münster und Telgte

Ein Paradebeispiel für die Anpassung an die vielfältige heutige Bestattungskultur stellt der Waldfriedhof Lauheide zwischen den Städten Münster und Telgte dar. Mit 104 ha Fläche repräsentiert er den größten Waldfriedhof Westfalens – vor dem 1912 gegründeten, knapp 100 ha großen Sennefriedhof in Bielefeld – und ist nach dem Parkfriedhof in Hamburg-Ohlsdorf (gegründet 1877/1920; 391 ha), dem Südwestkirchhof Stahnsdorf bei Berlin (1909; 206 ha) und dem Waldfriedhof München (1907; 170 ha) der viertgrößte landschaftskonzeptionelle Friedhof Deutschlands.

Abb. 1: Übersichtsplan – Begräbnisvarianten auf dem Waldfriedhof Lauheide (Quelle: Stadt Münster 2007, S. 2)

Die Stadt Münster erwarb das Waldgebiet Lauheide bereits im Jahr 1929 von der Stadt Telgte, aber erst am 10. Oktober 1942 wurde der neue kommunale Friedhof für die schnell wachsende Stadt Münster offiziell eröffnet; rund 96 % aller hier Bestatteten hatten ihren letzten Wohnsitz in Münster. Der Friedhof liegt 12 km östlich der Münsteraner Innenstadt und ist einer der sieben kommunalen Friedhöfe, die zusammen mit den 15 konfessionellen Friedhöfen den rund 270.000 münsteraner Bürgerinnen und Bürger zur Verfügung stehen. Auch die ca. 19.000 Telgter können hier – neben zwei weiteren kommunalen Friedhöfen – ihre Ruhestätte finden. Insgesamt werden nach Angaben der Friedhofsverwaltung (2009) pro Jahr rund 700 Menschen in den 35.000 Grabstellen beigesetzt, die zu über 60 % als Urnengrab nachgefragt werden. Neben den Bewohnern der Stadt Telgte (ca. 1–2 %) nehmen inzwischen auswärtige Anfragen – u. a. ehemaliger Münsteraner – auch einen wachsenden Anteil (ca. 2–4 %) aller Bestattungen auf dem Waldfriedhof ein.

Der Waldfriedhof Lauheide blickt auf eine lange Geschichte als Grabstelle zurück, die bis in die Zeit 2.000–1.500 v. Chr. reicht, wie drei Hügelgräber ganz im Norden der Anlage bezeugen. Weitere Urnenfunde lassen darauf schließen, dass um 1.000–500 v. Chr. ein weiterer Begräbnisplatz hier angelegt wurde.

Der Waldfriedhof Lauheide wird heute vielfältigen Anforderungen gerecht, da er die Ziele einer nachhaltigen Entwicklung mit den betriebswirtschaftlichen Bedingungen und der heutigen Bestattungskultur vereint. So gibt es insgesamt 13 verschiedene Bestattungsmöglichkeiten – vom umfangreichen Landschaftsgrab bis zum anonymen Aschestreufeld, ebenso ein muslimisches Grabfeld, Ehrengrabstätten sowie Gräber für Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft. Als zweiter Friedhof in Deutschland bietet er – nach Hamburg – seit 2002 mit dem "Sternchenfeld" eine kostenlose Ruhe- und Gedenkstätte für tot- oder fehlgeborene Föten unter 500 g Gewicht an, die aufgrund dieses Kriteriums standesamtlich nicht als "Menschen" geführt und somit auch nicht beerdigt werden müssen.

Auch Bestattungen im Baumwurzelbereich sind seit dem Jahr 2004 möglich. Nachdem 2001 die erste Bestattung im Reinhardswald bei Kassel in einem Friedwald möglich wurde, hat diese Form der naturnahen Bestattung, bei der ein Baum gleichzeitig Grab und Grabmal darstellt, rege Nachfrage gefunden. Auf dem Waldfriedhof Lauheide mussten die bis zum Jahr 2010 projektierten Flächen bereits 2008 erweitert werden (s. Beitrag Böhnisch).

Fazit

Auch zukünftig werden Veränderungen den Friedhof prägen und neue Anforderungen an die Bestattungskultur stellen. Aus Amerika kommt mit der Thanatologie (Sterbekunde) ein neuer Umgang mit der Leichenherrichtung, die über die hier übliche hygienische Totenversorgung weit hinausgeht, da die Körperflüssigkeiten gegen eine verwesungshemmende Einbalsamierungsflüssigkeit ausgetauscht werden. Dies ist vor allem in Ländern verbreitet, die einen Abschied am offenen Sarg des Verstorbenen pflegen (USA, Großbritannien, Russland). Diese Technik kann ein Teil unserer Bestattungskultur werden, so dass ein neues Spannungsfeld zwischen Bestattungskultur und Umweltschutz entstehen könnte, das viel Fingerspitzengefühl fordert.

Auch das Bestattungsgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen kann mit den beschlossenen Neuerungen die Bestattungskultur verändern. Die Aufhebung des Sargzwanges (alternativ: Tuchbestattung) und die Möglichkeit, Asche auf bestehenden Friedhöfen auszustreuen, sind Entwicklungen, deren Auswirkungen abzuwarten bleiben. Mit dem 21. Jh. ist nicht nur ein Wandel in den Bestattungsarten einhergegangen, sondern auch der Umgang mit dem Tod unterliegt einem allgemeinen, gesellschaftlichen und kulturellen Wandlungsprozess.

Die neue gesellschaftliche Entwicklung tendiert zu mehr Individualität, Flexibilität, Pluralität und Mobilität. Für die Friedhofskultur wird damit die Bedeutung "fester Grabstätten", wie sie Grabstätten und Grabmäler repräsentieren, weiter absinken.

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2009