Wanderungsbilanzen bei den 18- bis 29-Jährigen in Westfalen

01.01.2013 Peter Wittkampf

Inhalt

Wenn es um die sog. Zukunftsfähigkeit von Städten oder Regionen geht, spielt u. a. der Wanderungssaldo eine wichtige Rolle (s. Beitrag Wittkampf). Hierbei kommt es ganz besonders auf das Migrationsverhalten der jungen Erwachsenen an, die in einer Stadt oder einem Kreis entweder die gewün­schte Ausbildung oder Arbeit finden und deshalb dorthin ziehen, oder diese Möglichkeiten in ihrer Region kaum vorfinden und deshalb fortziehen.

Welches Bild ergibt sich in dieser Hinsicht für die westfälischen Kreise und kreisfreien Städte?

Unterschieden werden soll hierbei zwischen den 18- bis 24-Jährigen, die ja einen Großteil der Studierenden, der Auszubildenden und Berufsanfänger stellen, und der Altersgruppe der 25- bis 29-Jährigen, die häufig in diesem Alter eine Arbeitsstelle antreten oder angetreten haben und eventuell daran denken, eine Familie zu gründen.

Der Landesbetrieb Information und Technik NRW (IT.NRW) hat für die über die Kreisgrenzen Zugezogenen und Fortgezogenen jeweils Daten im Rahmen der "Kommunalprofile" veröffentlicht. Auf der Basis dieser Angaben, die für den Zeitraum von 2007 bis 2011 die durchschnittlichen Jahreswerte enthalten, wurden die im Folgenden genannten Zahlen errechnet.

Betrachtet man zunächst Westfalen als Ganzes, so ergibt sich bei den Wanderungsbilanzen ein deutlicher Unterschied zwischen den genannten Altersgruppen: Während sich in der Altersgruppe 18- bis 24 Jahre die Gesamtsumme der aus den westfälischen Kreisen bzw. kreisfreien Städten Fortgezogenen und dorthin Zugezogenen nur unerheblich unterscheidet, verliert Westfalen insgesamt in der Altersgruppe 25- bis 29 Jahre einen durchaus nennenswerten Teil seiner Bevölkerung: Den etwas mehr als 61.000 Menschen, die in dieser Altersgruppe zwischen 2007 und 2011 im Durchschnitt pro Jahr zugezogen sind, steht – mit knapp über 65.000 – eine um 6,2% höhere Zahl an Fortgezogenen gegenüber. Viele finden also offenbar außerhalb Westfalens bessere Berufseinstiegschancen oder berufliche Perspektiven. Dies sollte als Herausforderung für den Wirtschaftsstandort Westfalen ernst genommen werden.
 

Abb. 1: Wanderungsbilanzen bei den 18- bis 24-Jährigen (jährliche Durchschnittswerte 2007–2011) (Quelle: www.it.nrw.de)

Die Altersgruppe 18- bis 24 Jahre

Die adäquate Schul-, Hochschul- und Berufsausbildung ist für fast alle 18- bis 24-Jährigen innerhalb Westfalens problemlos gewährleis­tet, die Zahl der Fortgezogenen liegt in dieser Altersgruppe um weniger als 0,5% über der Zahl der Zugezogenen. Allerdings zeigen sich gerade in dieser Altersgruppe beim Wanderungssaldo erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Kreisen bzw. Städten Westfalens: Gewinner sind die Städte, Verlierer sind die ländlichen und peripheren Kreise Westfalens (Abb. 1).

Bei den Städten wiederum profitieren vor allem die Universitätsstädte, allen voran Münster. Speziell dort liegt in der Altersgruppe 18- bis 24 Jahre die Zahl der Zugezogenen (jährlich 7.201 Personen) um 114,7% über der Zahl der Fortgezogenen (3.354 Pers.). Bei den Hochschulstandorten Bochum, Bielefeld und Dortmund beträgt das Plus der Zugezogenen 42–56%. Außerhalb dieser kreisfreien Städte ist bei anderen Standorten tertiärer Bildungseinrichtungen eine differenzierte Betrachtung nötig. In den Kreisen Paderborn und Siegen-Wittgenstein zeigt sich bei­spielsweise, dass jeweils nur die Kernstädte, also Paderborn und Siegen, die ja gleichzeitig Hochschulstandorte, Großstädte und Kreissitze sind, in dieser Altersgruppe positive Wan­derungssalden aufweisen, während bei allen übrigen Städten und Gemeinden dieser beiden Kreise die Salden negativ sind. Teilweise liegt dort die Zahl der Fortgezogenen um mehr als 50% über der Zahl der Zugezogenen, so z. B. in Lichtenau, Altenbeken (Kr. Paderborn) und Hilchenbach (Kr. Siegen-Wittgenstein). Die für diese Kreise insgesamt erhobenen, positiven Salden (Abb. 1) sind also nur bedingt aussagefähig.

In anderen, kleineren Standorten tertiärer Bildungseinrichtungen, wie z. B. Bocholt, Steinfurt, Iserlohn und Meschede, weisen sogar die entsprechenden Städte negative Salden bei den 18- bis 24-Jährigen auf.

Stark verallgemeinernd lässt sich, von wenigen Ausnahmen abgesehen, sagen, dass die Salden umso negativer werden, je
•   weniger vielfältig die Ausbildungsmöglichkeiten sind,
•   peripherer die Lage der Kreise ist,
•   niedriger die Einwohnerzahlen der Kommunen sind.

Eine Besonderheit zeigt sich allerdings in vielen direkten Umlandgemeinden bzw. -städten großer Zentren, wie etwa um Münster. Hier ist ebenfalls ein z. T. überproportional negativer Wanderungssaldo dieser Altersgruppe zu beobachten. In Senden, Telgte, Everswinkel und Nottuln beispielsweise übertrifft die Zahl der Fortgezogenen 18- bis 24-Jährigen die der Zugezogenen um etwa 50%, im Falle von Havixbeck sind es sogar 71,8%. Dies ist damit zu er­klären, dass sich in Münsters Umland vor einigen Jahren besonders viele junge Familien angesiedelt hatten, deren erwachsen gewordene Kinder nun zur Ausbildung fortziehen.

Ein deutlich negativer Wanderungssaldo bei den jungen Erwachsenen wird insgesamt vor allem auch in jenen Kreisen zu einer besonderen Herausforderung, wo diese jungen Jahrgänge einen relativ großen Teil der Gesamtbevölkerung ausmachen, sodass die Wanderungsverluste sich, z. B. auf 10.000 Einwohner gerechnet, besonders bemerkbar machen (Abb. 1).

Abb. 2: Wanderungsbilanzen bei den 25- bis 29-Jährigen (jährliche Durchschnittswerte 2007–2011) (Quelle: www.it.nrw.de)

Die Altersgruppe 25- bis 29 Jahre

Wo bleiben nun aber die jungen Menschen, die ihre Ausbildung be­endet haben?

Hier stellt sich das Bild in Westfalen-Lippe ebenfalls uneinheitlich dar, auch wenn in der entsprechenden Altersgruppe 25- bis 29 Jahre die Extreme deutlich geringer sind als bei den Jüngeren, die ja oft noch in der Ausbildung sind.

Auffällig ist, dass auch bei den 25- bis 29-Jährigen die Attraktivität speziell Münsters und das Jobangebot dort sehr viel größer zu sein scheinen als bei allen anderen Städten: Die Zahl der Zugezogenen liegt in Münster um 11,9% über der Zahl der Fortgezogenen (Abb. 2). Leicht po­sitive Salden weisen außerdem die Städte Bottrop, Dortmund und Hamm sowie – als einziger der Kreise in Westfalen-Lippe – der Kreis Gü­tersloh auf. Letzterer bietet – nicht zuletzt in seinen großen Unternehmen – sowohl im se­kundären als auch im tertiären Wirtschaftssektor relativ viele Ar­beits­möglichkeiten, wo­bei sich vor allem die Städte Gütersloh und Rheda-Wiedenbrück mit positiven Wanderungssalden profilieren.

Dagegen ziehen z. B. aus Bo­chum und Bielefeld etliche junge Menschen fort, obwohl in diesen Städten sehr viele Studierende ausgebildet wurden.

Besonders negative Wanderungssalden bei den 25- bis 29-Jährigen weisen die Kreise Höxter und Recklinghausen auf. Höxter ist "der wirtschaftlich schwächste Kreis in NRW" (Neue Westfälische, 20.12.2011). Für solche Kreise gilt: Wenn viele junge Menschen fortziehen, kann sich dies negativ auf die Wirtschaft auswirken, was dann die Zahl der Fortzüge noch erhöht – ein Teufelskreis.

Und auch der – relativ bevölkerungsreiche – Kreis Recklinghausen hat mit deutlichen Strukturproblemen zu kämpfen, sodass viele 25- bis 29-Jährige ihre Zukunft eher in anderen Wirtschaftsregionen oder -zentren sehen.

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2013